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Zwerge auf den Schultern von Riesen

Wenn die Moderne eine Idiotie hervorgebracht hat, dann bezieht sie sich auf die Entwertung dessen, was in der Vergangenheit geschaffen wurde. Den höchsten Wert repräsentiert immer das Brandaktuelle und Neue. Eine analoge Bewertung erfahren auch die Zeitgenossen. En vogue und hip sind diejenigen, die quasi direkt aus der juvenilen Sozialisation heraus ihre Fähigkeiten entwickeln. Diejenigen, die ganze Epochen der Entwicklung hinter sich haben, gelten hingegen als Auslaufmodelle und antiquiert. Aus dieser Betrachtungsweise ist die Falle des forever young entstanden, die nichts anderes ausdrückt als die Diskriminierung des Alters und schon einmal gar nichts mit dem Sprichwort aus New Orleans zu tun haben, auf das sich Bob Dylan in seinem berühmten Song bezog. Dort geht es nämlich nicht um die Diskreditierung des Alterungsprozesses, sondern um die Konservierung der Neugier und des Engagements.

Betrachtet man nun das Wesen der Moderne, das in erster Linie gekennzeichnet ist durch die Beschleunigung von Entstehungs- und Alterungsprozessen, die unter dem Begriff der Akzeleration figurieren, dann leitet sich daraus ab, dass die Verdichtung von Innovation der eine Aspekt der Moderne ist. Anhand der Kette technischer Innovationen, die permanent unsere Lebensbedingungen durchdringen, lässt sich diese Entwicklung sehr gut dokumentieren.

Der andere Aspekt, und aus einem anthropologischen Räsonnement heraus betrachtet der entscheidende, ist allerdings die Kompetenz der zeitgenössischen Individuen, mit dem Prozess der chronischen Revolutionierung Schritt halten zu können. Dazu bedarf es nämlich einer sehr robusten psychischen Verfasstheit, weil permanenter Wandel viele Unwägbarkeiten beinhaltet sowie der Fähigkeit, kognitiv und analytisch die neuen Verhältnisse zu erfassen und die Fähigkeit, immer wieder Neues zu erlernen. Die Absurdität, vor der wir in diesem Kontext stehen, ist die Diskriminierung gerade der Generationen, die die höchsten Anpassungsleistungen bereits vollbracht haben.

Die Generation derer, die in der laufenden Dekade aus dem Arbeitsleben scheiden werden, haben begonnen in einer Arbeitswelt, in der es weder Computer noch Handys gab, in der auf Schreibmaschinen getippt wurde, mit Matrizen vervielfältigt, in der Produktion mit Körperkraft gewuchtet wurde, Kommunikationswege Ewigkeiten in Anspruch nahmen und Innovationen jahrelang Bestand hatten. Sie haben die ständige Beschleunigung meistern können, weil sie sich als Subjekte fühlen konnten, in der Lage waren zu strukturieren und auf eine solide Bildung zurückgreifen konnten und Charakter gezeigt, in dem sie sich erfolgreich politisch organisiert haben, um ihren Interessen eine Stimme zu geben.

Die Generationen hingegen, die in den kommenden Jahrzehnten das Arbeitsleben gestalten werden, stehen noch vor derartigen Aufgaben. Ihr technisches Know How ist nicht zu toppen, die soziale Organisation und Anpassung, das Lernen und das psychologische Anpassen an die Veränderung werden sie noch entwickeln müssen. Insofern sind sie Zwerge auf den Schultern von Riesen.