Schlagwort-Archive: Amerika

Tote in Amerika

Erst die Ereignisse von Ferguson, nun der Fall Eric Garner in New York. Die deutsche Öffentlichkeit wird unterrichtet von Vorkommnissen in den USA, die nach Rassismus riechen. Die Berichterstattung ist nicht zufällig. Da es sich bei den USA tatsächlich um ein Land handelt, in dem Rassismus und Diskriminierung auf der Tagesordnung stehen, lässt es sich nach einem gut etablierten Schema vortrefflich aufregen. Dass bei beiden Fällen Untersuchungen stattgefunden haben und Gremien einer unabhängigen Justiz Entscheidungen getroffen haben, stört da nur. Die Nation des Westens mit den größten nationalen, ethnischen, kulturellen und religiösen Unterschieden macht aus hiesiger Sicht einen schlechten Job. Es geht schließlich darum, Vorurteile zu bestätigen. Und, das ist das eigentlich Ärgerliche daran, die eigenen Lebensumstände dabei aus den Augen zu verlieren.

Ein Journal über die Vorfälle hierzulande ist Besorgnis erregend genug. Hier gewaltsame Demonstrationen gegen ein geplantes Asylbewerberheim, dort eine totgeschlagene Immigrantin, und woanders Rekrutierungen für den vermeintlich Heiligen Krieg. Religiös gerechtfertigte Morde, Zwangshochzeiten, Fremdenhass, No-Go-Äras für Ausländer in ganzen Bundesländern und ein Prozess, bei dem über Jahre Einwanderer abgeknallt wurden wie tollwütige Hunde. Ein Prozess, der irgendwie nicht vom Fleck kommt, bei dem immer wieder der Verdacht hochkommt, dass Staatsbeamte da beteiligt waren, verdeckt versteht sich, um Schlimmeres zu verhindern. Das Journal ist so dick wie das Telefonbuch von Berlin. Mindestens. Aber die wenigen Beispiele reichen.

Und dann das andere Bild, welches dem Dümmsten zeigen sollte, dass die Welt ein wenig komplizierter ist als ein einziges Feindbild. Nämlich die internationale Umfrage, die zutage fördert, dass Deutschland ein freundliches Land ist, auch Fremden gegenüber. Und das Testat derer, die auch nur mit einem Rucksack hierher kamen, vor vierzig, dreißig oder zwanzig Jahren und die heute strahlend erzählen, dass sie hier ihr Ding gemacht haben und machen konnten. Werden sie befragt, dann entpuppen sich gerade die Erfolgreichen der Einwanderung als die Gralshüter der vermeintlichen deutschen Werte. In keinem Land, so die Rückmeldung, wird die Leistung so objektiv betrachtet, egal von wem sie erbracht wird, wie hier.

Wir, hier in unserem eigenen Land, müssen uns zurecht finden mit den widersprüchlichen Meldungen. Wer allerdings der Wahrheit eine Chance gibt, tut sich damit gar nicht so schwer. Dichte und Vielfalt haben es an sich, dass sie viele Teilwahrheiten in sich bergen, die sich zuweilen sogar widersprechen. Und diejenigen, die die Welt verbessern wollen, sollten sich immer darin erinnern, dass die eigene Fehlbarkeit der größte Feind und das größte Geschenk zugleich ist. Ein Feind, wenn geglaubt wird, man sei selbst unfehlbar und die anderen dabei verletzt. Das größte Geschenk, wenn aus der eigenen Fehlbarkeit eine Toleranz gegenüber allen erwächst, die guten Willens sind. Wer Fehler macht, sich zu ihnen bekennt und darüber spricht, hat das Portal zum Lernen aufgestoßen. Und wer nicht lernen will, der wird sich darauf beschränken, zu belehren.

Wer frei von Fehlern ist, der ist ein fauler Hund. Denn nur wer sich nicht bewegt, ist davor gefeit. Insofern ist das, was berechtigt oder nicht, hier aus dem ganz anderen Amerika als Stoff für moralische Empörung in die Wohnzimmer rauscht, eine willkommene Ablenkung von dem, was hier noch alles zu leisten ist. Wenn auch nicht die Duldsamkeit gegenüber den Anderen gepflegt wird, kritisch gegenüber uns selbst, das sollten wir schon sein.

Archivarische Analysen

Peter Scholl-Latour. Koloss Auf Tönernen Füßen. Amerikas Spagat zwischen Nordkorea und Irak

Peter Scholl-Latour hat die Krisengebiete dieser Welt bereist wie kaum ein anderer. Durch seine eigene, sehr bewegte Biographie ist es ihm immer wieder gelungen, in verschiedene, für uns Mitteleuropäer verborgene Kulturkreise einzutauchen. Sehr früh brachte ihn seine militärische Karriere über die alte Kolonialmacht Frankreich nach Indochina und später eröffnete ihm das Studium einen exzellenten Zugang in die arabisch-islamische Welt. Ein Mann, der nunmehr sechzig Jahre die Welt als politischer Journalist bereist, hat natürlich auch aus der historischen Perspektive etwas zu sagen zu den Versuchen der USA, ihre Stellung als Supermacht zu konservieren. Da ist ein Buch, das auf die Zeit eines George W. Bush mit seinen großen Irrtümern gemünzt ist, dem Verdacht ausgesetzt, in der Amtsperiode eines Barack Obamas nicht mehr ganz a jour zu sein. Wäre da nicht das phänomenal Archiv eines Peter Scholl-Latour.

Die Gliederung des im Jahr 2006 erschienen Buches macht deutlich, dass Scholl-Latour sich bei der Analyse der äußerst prekären hegemonialen Lage der USA für die historische Dimension entschieden hat. Es fällt auf, dass die beiden herausragenden Kapitel sich mit Korea und Vietnam befassen, während die Auseinandersetzung mit dem Irak eher wie ein Appendix wirkt. Was aus Aktualitätsbezogenheit zunächst als Nachteil wirken könnte, entpuppt sich jedoch bei der Lektüre als ein unschätzbarer Vorteil.

In dem ihm eigenen Stil verbindet der Autor eine aktuelle Reise mit dem ständigen Verweisen auf frühere Erlebnisse in den gleichen Ländern. Was feuilletonistisch wirkt, ist eine historische Vielschichtigkeit, die nur wenigen Historiographen gelingt. So erfahren wir sehr viel über die Komplexität des Korea-Konfliktes, von der hegemonialen Rolle Chinas, dem insurrektiven Potenzial im Norden sowie die gleichzeitige Skepsis beider Seiten, Süd wie Nord, angesichts der Erfahrungen in Deutschland, die von dort sehr genau beobachtet wurden. Entscheidend jedoch ist das Ausbleiben der Lehren innerhalb der USA aus der Kriegsgeschichte, dort wie in Vietnam. Auch in diesem Kapitel blitzen viele Details aus dem furchtbaren Krieg gegen den Vietkong auf, aus dem die USA genauso ramponiert herausgingen wie sie aus dem Irak herausgehen werden.

Eine Frage, die sich in kritischer Hinsicht auf das in historisch-dokumentarischer Hinsicht ungemein lesenswerte Buch stellen lässt, ist die, ob die tendenzielle Reduktion auf die kriegstaktische Dimension amerikanischen Handelns als hinreichend erachtet werden kann. Sowohl Ökonomie als auch Bündnispolitik sind Dimensionen, die das Wesen der Supermacht USA im 20. Jahrhundert ebenso ausgemacht haben wir das Militärische, und es sind auch die Kategorien, die über die Zukunft in erster Linie entscheiden werden. Dennoch ein lesenswertes Buch für alle, die den historischen Bezug als unabdingbar erachten.