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Sich selbst ein Ständchen

Bob Dylan. Fallen Angels

Es ist die Zeit, in der es so manch großer Künstler fertig bringt, passend zu seinem fortschreitenden runden Geburtstag ein Werk vorzustellen. Diese Werke können unterschiedlich sein. Entweder, sie verweisen auf das bisherige, lange schöpferische Schaffen oder sie ziehen Bilanz. Ganz selten wird noch einmal eine neue Perspektive eröffnet, es gilt schließlich, das eigene Leben zu betrachten.

Bob Dylan legt passend zu seinem 75. Geburtstag das Album mit dem Titel Fallen Angels vor. Und der Titel ist das Einzige, was aus Dylans Feder stammt. Bei den 12 eingespielten Songs handelt es sich, und bereits da tappen vielleicht einige in die erste Falle, nicht exklusiv um Stücke Frank Sinatras, sondern um Standards aus der amerikanischen Jazzgeschichte. Zwar hat Frank Sinatra tatsächlich Young At Heart, Polka Dots And Moonbeams, All Or Nothing At All, That Old Black Magic oder Come Rain Or Come Shine gesungen, aber auch er griff auf das Kollektivgedächtnis des Jazz seines Landes zu.

Es sind die Weisen, die in diesem Land gefühlt immer schon gespielt wurden und von denen nicht nur ein Frank Sinatra, sondern auch ein John Coltrane nicht lassen konnten. Im Reigen solcher Größen fehlt Bon Dylan einfach. Er, der mit dem Protest begann und dem Protest gegen das Vorgefertigte immer treu bleib, er kann auch den Standards eine neue Perspektive der Interpretation geben. Wieder hat er diejenigen seiner Anhängerschaft enttäuscht, die ihn bereits passend in eine Schablone gepresste haben. Aber er passt weder in das Protest-Folk- noch in das Rock-Muster. Bob Dylan ist ein großer Musiker, der zum Nationalepos seines Landes, dem Jazz, genauso gehört wie die bereits Genannten und viele der Kreativsten mehr.

Fallen Angels ist in einer Weise arrangiert, die von der sonstigen Verwertung abgeweicht, weil Dylan weder voluminöse Bläser noch schmalzige Streicher einsetzt. Er lässt sie mit Minimalbesetzung spielen und singt dazu mit seiner ihm heute typischen, etwas heiseren, lyrisch klingenden Stimme, die eine Melancholie vermittelt, die in dem Wissen um die Vergänglichkeit des Schönen liegt.

Mit Fallen Angels gibt sich ein Großer selbst ein Ständchen. Das macht er unprätentiös und im Wissen um die Kultur, in der er sich hat entwickeln können. So wild die Geschichte ist, auf die er als Individuum zurück blicken kann, so ruhig und selbstbewusst ist das Narrativ dieses Landes, das nicht umsonst auf die Universalthemen der Menschheit immer wieder rekurriert. Bob Dylan hat die Lieder aus dem kollektiven Gedächtnis seiner Nation genommen, die vor allem auf die Liebe verweisen. Das ist gut, das ist dem Anlass gebührend und es ist ihm vor allem vergönnt.

Eine Inszenierung des Wesentlichen

Frau Contra Bass. Comes Love

Es ist ein ehrgeiziges Unterfangen. In einer Zeit, in der die technische Perfektionierung und die Erzielung immer neuer Soundeffekte zum Nonplusultra der zeitgenössischen Aufnahmetechnik gezählt werden, Stücke auszuwählen, die unzählige Male bereits interpretiert wurden und diese auf die Kernaussagen zu reduzieren. Sowohl in Interpretation wie Technik. Das Projekt Frau Contra Bass, bestehend aus der Sängerin Katharina Debus und dem Bassisten Hanns Höhn, hat mit dem Comes Love seine dritte CD eingespielt. Die Titel gehören zu dem Standardrepertoire des amerikanischen Jazz des 20. Jahrhunderts. Mit Kompositionen von Cole Porter, Duke Ellington, Michel Legrand, Billy Strayhorn, Jimmy van Heusen und Guy Wood wurden prominente Weisen ausgewählt, die mittlerweile zur Weltmusik zählen.

Das genannte Repertoire birgt alle Risiken, die bei einer Neuinterpretation nur existieren können. Alle Großen des Jazz haben sie durchdekliniert und ihre unvergesslichen Spuren hinterlassen. Um so erfreulicher ist es, dass Debus/Höhn sich ihre Courage nicht haben nehmen lassen. Mit bestechender Schlichtheit haben sie die Stücke konsequent nach dem eigenen Projekttitel interpretiert: Der Gesang wird durch den akustischen Bass kontrapunktiert. Sie gewinnen dadurch erheblich an Essenz. Es geht nicht um die Virtuosität oder die interpretative Extravaganz, sondern um die semantische Treue zur Vorlage. Katharina Debus verleiht mit ihrer narrativen Stimme den Stücken eine Authentizität, die den Atem zum Stocken bringt. Tausendmal Gehörtes gewinnt durch die Reduktion erheblich an Überraschung. Kein Wunder, dass manche Titel nicht mehr an eine Broadway-Revue erinnern, sondern wirken, als seien sie einer Brecht-Weill-Komposition entnommen. Hanns Höhn gelingt es dabei, die Textaussagen zu unterstreichen oder zu verfremden, je nach Intention. Das ist große Klasse und in der gegenwärtigen Ratlosigkeit, die das Genre zuweilen überfällt, eine ungeheure Bereicherung.

Der Jazz, so wie er sich seit seiner Entstehung immer wieder generierte, schaffte die Mutation zu neuen Dimensionen immer nur durch die Konzentration auf das Wesentliche. Die momentan zu beobachtende Krise macht sich vor allem bemerkbar durch den Wunsch vieler Solisten, das technische Arsenal zu erweitern, was historisch in Übergangsphasen immer wieder zu beobachten war, aber nie zu einer Erneuerung geführt hat. Frau Contra Bass hingegen scheint den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Nahezu alle Stücke bewirken durch ihre Interpretation die Freilegung ihrer ästhetischen Essenz. Egal, welche Titel man sich vornimmt und zu einer meditativen Übung nutzt, Ob I Got It Bad, Windmills Of Your Mind, Lush Life, Moonlight in Vermont, But Beautiful, Cry Me A River oder Nature Boy, die Botschaften werden quasi nach einer präzisen, einfühlsamen archäologischen Arbeit wieder freigelegt. Sie handeln von dem großen Projekt des Pursuit of Happiness, mit allen Rück- und Niederschlägen und der nie bezwingbaren Hoffnung. Das ist einfach großartig.

Und als wäre es nicht genug mit der gelungenen Innovation durch die Reduktion technischer Komplexität ist mit Hanns Höhns Interpretation (ohne Gesang) von Fever eine Aufnahme gelungen, die mit ihrer musikalischen Essenz sicherlich zu den besten gehört, die jemals zu dieser Weise eingespielt wurde.

Comes Love von Frau Contra Bass ist, kaum bemerkt, zu einem Meilenstein der zeitgenössischen Entwicklung des Jazz geraten. Die Stücke ermöglichen es, das Wesen des Jazz-Standards neu zu reflektieren. Dass das unter die Haut geht, liegt an der Natur der Sache und an diesen beiden großartigen Interpreten.