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Die NATO, 9/11 und die Nordstream Pipeline

Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York City im Jahre 2001, bis heute bekannt unter dem Schlagwort 9/11, geschahen Dinge, die angesichts aktueller Entwicklungen eine neue Dimension bekommen. Der damalige Präsident der USA, George W. Bush junior, brachte es nämlich fertig, dass die NATO den Bündnisfall ausrief. Zugeschrieben wird die Tat, zumindest von offizieller amerikanischer Seite, bis heute der Organisation Al Quaida. Diese wiederum war keine staatliche Organisation, sondern ein Zusammenschluss von dem politischen Islam anhängenden Menschen zumeist aus Afrika und Asien. Pikant bei der Geschichte war die Tatsache, dass die USA ihrerseits Al Quaida während des Krieges der Sowjetunion in Afghanistan finanziell und logistisch unterstützt hatte. Entscheidend war nun jedoch das Faktum, dass die NATO-Mitgliedsstaaten das Spiel mitmachten und den Bündnisfall beschlossen. D.h. die NATO-Staaten befanden sich im Krieg mit einer multi-ethnischen, auf Freiwilligkeit basierenden Organisation. Ein Präzedenzfall, der in der Statuten der Organisation nicht vorgesehen war. 

Fühlten sich die Mandatsträger der Bundesrepublik Deutschland so souverän wie damals George W. Bush junior und sähen sie in der Zerstörung der Nordstream Pipelines in der Ostsee einen Sabotageanschlag auf die Bundesrepublik Deutschland, dann müssten sie bei bloßem Verdacht auf eine externe staatliche Macht den NATO-Bündnisfall anstreben. Da jedoch, da nun mehr als vieles dafür spricht, dass die USA den Anschlag verübt haben, der Bündnisfall gegen ein anderes, und zwar das mächtigste NATO-Mitglied ausgesprochen werden müsste, wird das ganze Dilemma offenkundig. 

Es handelt sich dabei nicht um ein solitäres Dilemma der NATO. Letztere hat sich seit 9/11 in höllischem Tempo von einer intendierten Verteidigungsgemeinschaft zu einem imperialistischen Interventionsbündnis gewandelt. Die traurige Rolle der Bundesrepublik bestand in diesem Prozess darin, dass sie den exklusiven Verteidigungsgedanken, der im Grundgesetz stand, abschrieb, die eigenen Streitkräfte auf Intervention umstellte und unter dem Schirm der aggressivsten Macht des Bündnisses schlafwandelte. Konstatiert man, dass sich der Fall so abgespielt hat, wie es der amerikanische Investigativ-Journalist Seymour Hersh nachgezeichnet hat, dann hat ein NATO-Mitglied gegen ein anderes NATO-Mitglied einen Terroranschlag verübt. Alle wissen es, und keiner sagt etwas. Die Botschaft, die dieses „Bündnis“ damit in die Welt aussendet, ist eindeutig: das kann nicht mehr lange gut gehen. Und wer auf Zeit setzt, macht auf keinen Fall einen Fehler. 

Das eine, nämlich das politische Debakel, wird bei dieser Geschichte eskortiert von dem anderen, nicht minder besorgniserregenden, nämlich dem medialen. Was sich nach der Veröffentlichung der Recherchen von Hersh in der hiesigen Medienlandschaft abspielte, ist eine wunderbare Dokumentation dafür, dass ehemalige gut bürgerliche Nachrichtenorgane längst zu kriminellen Vereinigungen mutiert sind. Noch in der Nacht wurde der deutsche Wikipedia-Eintrag zu Seymour Hersh so manipuliert, dass bei der Lektüre suggeriert wird, der Mann habe immer am Abgrund von Verschwörungstheorien gestanden. Im SPIEGEL war der Journalist von Weltruf plötzlich ein umstrittener Blogger. Die Handhabung eines Falles von nationaler Tragweite als ein Hirngespinst von Hysterikern deutet noch einmal auf die Notwendigkeit hin, sich nicht mehr mit dieser Art der Journaille, sondern mit denen auseinanderzusetzen, die diese Propaganda-Organe besitzen und instruieren. Die mit der systematischen Verbreitung von Unwahrheiten die staatlichen Institutionen  zerstören und Kriege glorifizieren. Verdienen werden sie, die nicht mehr lange so unbekannt sind, wie sie sich wähnen. Und die, die für diese Machenschaften wie immer bezahlen sollen, werden es nicht mehr hinnehmen. Und ansonsten? Fordern wir doch den Bündnisfall!  

Zivilisation und Fundamentalismus

Bewegungen, die sich gegen den Lauf der Zeit wendeten und sich dabei auf eine eigene Identität beriefen, die zugrunde zu gehen drohte, hat es schon immer gegeben. Bewegungen, die sich beim Lauf der Geschichte gar darauf verstiegen, letzteren wieder rückgängig machen zu können, hat es ebenso gegeben. Ihnen haftet die Erinnerung an, dass ihre Mittel zumeist sehr drastisch waren und dass sie letztendlich alle scheiterten. Das bedeutet nicht, dass diese Bewegungen mit allem falsch lagen, was sie kritisierten. Aber sie lagen falsch mit einer Selbsteinschätzung, die systemisch schon gar nicht mehr haltbar war.

Und vielleicht ist es diese eigenartige Selbsteinschätzung, die dem Massenphänomen des Fundamentalismus gemein ist, egal zu welchem Anlass oder zu welcher Stunde er entstand. Sowohl die christliche Reconquista mit der aus ihr hervorgegangenen Inquisition, sowohl die geheimen wie öffentlichen Terrororganisationen der faschistischen Herrschaft der Neuzeit, als auch die Revolutionsgarden im Iran des Ajatollah Khomeini, als auch die Taliban, Al Quaida und ISIS, sie alle sind der organisierte Ausdruck eines wie immer gearteten Fundamentalismus. Ihre Massenbasis ist und waren soziale Klassen, Milieus oder Individuen, die aus einem bestimmten Beschleunigungsprozess der Geschichte ins Abseits geworfen wurden, obwohl sie noch eine Lebensperspektive vor sich hatten. Was sie erlebten, war zumeist ein Abgleiten ins soziale Aus, eine Ächtung ihres Gedankengutes und ein nicht mehr in die Zeit passendes Verhalten. Was sie verstörte, war die Tatsache, dass genau das, was heute keinen Pfifferling mehr zählte, ihnen gestern noch zu Ruhm und Ansehen und zu einem wirtschaftlichen Auskommen verholfen hatte. Das war dann irgendwann aus ihrer Sicht quasi über Nacht passé. Und dann trafen sie Schicksalsgenossen, denen es ähnlich gegangen war. Und zusammen trafen sie Erklärungsmuster, die die eigene Rolle verklärten und das Neue verdammten. Und schon waren sie der Ansicht, sie könnten das beseitigen, und zwar für immer, was sie bereits selbst beseitigt zu haben schien.

Und genau das ist eines der Wesensmerkmale des Phänomens, das so gerne als Fundamentalismus bezeichnet wird. Es ist der Protest gegen eine Gegenwart, die der verklärten Vergangenheit nicht mehr entspricht. Und es ist der Versuch, die veränderten Lebensbedingungen durch einen Akt der Gewalt wieder rückgängig machen zu können. Bei der Betrachtung dessen, was ihnen fehlt, wird deutlicher, wer sie sind: Es fehlt ihnen die Fähigkeit, Strömungen der Geschichte zu erkennen und zu erklären. Ihnen fehlt die Möglichkeit, sich selbst in einem Prozess der Veränderung von einer anderen Warte aus mit zu betrachten und es fehlt ihnen eine Tugend, die nur aus einer geistigen Distanz zum eigenen Ich entstehen kann: Es fehlt ihnen die Gelassenheit bei der Betrachtung des Unausweichlichen.

Und so ist es hilfreich, beim Aufkommen neuer, vermeintlich neuer Bewegungen den Blick nicht nur auf diese selbst zu richten. Fundamentalisten sind in ihrer Verzweiflung über die Welt kein allzu großes Rätsel. Schwerer ist es nachzuvollziehen, woher es kommt, dass sie sich wie andere so wenig respektieren. Aber spannender und aufschlussreicher ist es, wie die Gesellschaft mit der neuen Form des Fundamentalismus umgeht. Bleibt sie gelassen, handelt aber konsequent, so ist die Prognose erlaubt, dass sie das Zeug hat, den aufgekommenen Fundamentalismus zu überleben. Reagiert sie jedoch hysterisch und begibt sich auf eine destruktive Augenhöhe mit dem Fundamentalismus, so ist sie schnell als ein Bestandteil des Problems zu identifizieren. Diejenigen, die den Fundamentalismus überwinden wollen, sollten sich immer vor Augen führen, dass es weder um Rasse, Gott oder Hemisphäre geht, sondern um die Zivilisation gegen die Barbarei. Da ist letzteres auch für die vermeintlich Guten verboten.

Psychopathologie als Kollektivsymbolik

Claire Danes, Damian Lewis. Homeland, Season 1

Dass sich die Welt nach dem 11. September 2001 geändert hat, wird immer wieder aus unterschiedlichen Blickwinkeln festgestellt. Wie sie sich verändert hat, hängt zumeist von der jeweilig gewählten Perspektive ab. Sicher scheint zu sein, dass sich ein vermeintlich politischer Konflikt, der zwischen dem christlich-kapitalistischen Westen und dem merkantil-islamischen Osten entstanden ist noch andere, schwerwiegende Symptome zu verkraften hat als sie in Kategorien der Geostrategie, der Ökonomie oder der Außenpolitik zu begegnen wären. Dabei handelt es sich um Dimensionen der Psychopathologie, die verursacht wurden durch allseitige kriegerische und terroristische Akte, die zu Verletzungen, Traumatisierungen und Schockerlebnissen geführt haben.

Ausgerechnet einer TV-Filmserie, diesmal von FOX und nicht aus dem Hause HBO, bleibt es vorbehalten, das Thema der psychischen Implikationen dieses Kultur- und Interessenaufpralls zu thematisieren. Kein Wunder, dass die Vorlage einer israelischen Serie entlehnt wurde, weil dort das Thema weit länger zum Alltag gehört als in Washington oder Berlin. Die erste Staffel von Homeland setzt auf eine einfache Regieanweisung: US-Marine gerät bei einem Einsatz im Irak in Gefangenschaft und landet bei Al Quaida. Nach acht Jahren wird er wie ein Wunder befreit und kehrt in die Heimat zurück. Natürlich wird er zum Politikum und natürlich liegen der CIA Hinweise vor, dass ein US-Soldat umgedreht worden sein soll. Das alles ist ein schlichtes und nicht besonders aufregendes Konstrukt.

Wie allerdings sowohl das Regiebuch als auch Damian Lewis als Nicholas Brody und Claire Danes als Carrie Mathison ihre Rollen ausfüllen, das ist eine neue Dimension der subkutanen Dramatik. Hier die strebsame und durch eine bipolare Störung forcierte CIA-Agentin, dort der durch Folter- und Verlusterlebnisse traumatisierte Soldat, der in ein Karussell der Loyalitäten geraten ist. In dem gesamten Konsortium der Akteure ist es ausgerechnet die Manisch-Depressive, die der Interpretationswahrheit der verworrenen Ereignisse am nächsten kommt und ihr Pendant, der Held, lässt menschliche Qualitäten wie Loyalität und Treue ebensowenig missen wie die kaltblütige innere Logik der Zerstörung. Beide Pole ziehen sich an und stoßen sich ab, aber sie sind die einzigen, die das gesamte Spiel zu durchschauen scheinen. Um sie herum erleben sie eine Welt, in der die Vertreter von Recht und Gesetz sich nur noch durch den Rechtsbruch zu helfen wissen und kalte Revanchisten aus Trauer zu Verzweiflungstätern werden.

In den Folgen der ersten Staffel wirkt nichts holzschnittartig und kein Klischee ist so schal, als dass es abstieße. Das Bezwingende ist die Raffinesse, mit der es gelingt, das scheinbar Absurde als folgerichtig in die Welt zu bringen. Dadurch kommt es zu einer Signatur für den Zustand der Protagonisten in diesem Konflikt: Jede Seite hat humane wie machtpolitische Argumente, um das Fortschreiten der Destruktion zu rechtfertigen. Dass die Akteure dabei unzweifelhaft und unwiederbringlich vor die Hunde gehen, ist unumgänglich. Fast könnte man sagen, um in der psychopathologischen Metaphorik zu bleiben, in dieser bipolaren Welt ist die Störung zum Normalzustand geworden, und diejenigen, die sich der Störung als Konsens der Konflikteure widersetzen, haben sich selbst auf die Liste der zu Zerstörenden gesetzt. Das einzige, das bei Homeland versöhnt, ist die Gewissheit, dass die Designer der Serie das Absurde durchschaut haben. Aber das ist der richtige Genuss im falschen!