Gerade in Momenten großer Emotionen kann es sehr hilfreich sein, sich kleineren mathematischen Betrachtungen und Operationen hinzugeben. Es ist interessant zu beobachten, wie gut das funktioniert, wie gut eine Disziplin, die auf kühles Rechnen setzt, den Blutdruck senken kann. Es ist nicht die Lösung für die vielen Ursachen von emotionaler Intensität, aber manchmal ist es sogar sehr vernünftig, die Ereignisse und Erscheinungen, die das Blut kochen machen, versuchen in Form von Zahlen herunter zu kühlen.
Die Luftschläge in Syrien mögen jetzt einmal Anlass sein, um sich jenes Phänomen anzuschauen, das beschrieben werden kann als zumindest mentale Krise der westlichen Demokratien. Vieles von dem, was sie in Zeiten der großen Globalisierung produziert, verursacht Unbehagen und Ängste. Und diejenigen, die das Erscheinungswesen dieser Demokratie kritisieren, werden sehr schnell diffamiert. Dann sind sie, so zumeist die Funktionäre des kritisierten Systems, dem Populismus auf den Leim gegangen oder sie seien nicht in der Lage, mit der Kompliziertheit der Welt umzugehen.
Deshalb ist es geraten, möglichst wenig Kompliziertes und Komplexes in diese Betrachtung mit einzubeziehen, sondern sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und das führt zu der Frage, was den meisten Menschen wichtig ist. Dabei sind zwei Faktoren entscheidend: 1. Sind die Menschen in der Lage, unter den gegebenen Voraussetzungen ein auskömmliches Einkommen zu erwirtschaften? 2. Können sie die Früchte ihrer Arbeit in Frieden genießen?
Seit einem halben Jahrzehnt sind bei regelmäßigen Umfragen 70 -80 Prozent der Befragten in Deutschland besorgt über die wirtschaftliche Entwicklung. Nicht in Bezug auf Export- und Beschäftigungsstatistiken, aber in Bezug auf die Einkommensverhältnisse und die rapide auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich. Und ebenso seit einem halben Jahrzehnt, seit der westlichen Intervention in der Ukraine, die mit Geld und Agenten vollzogen wurde und der russischen mit Soldaten vorausging, sprechen sich ca. 70 – 80 Prozent der Bevölkerung gegen die von der Bundesrepublik zu verantwortende Außenpolitik aus. Sie halten den europäischen wie den Weltfrieden für gefährdet.
Im Parlament sehen die Verhältnisse nicht nur anders aus, sie sind nahezu diametral entgegen gesetzt. Die ökonomische Politik, die von den letzten wie der gegenwärtigen Regierung betrieben wird, basiert auf den Grundsätzen des Wirtschaftsliberalismus und versteht sich als Notkasse für spekulierende Banken. Und die dramatische Verarmung eines Teiles der Gesellschaft ist zurückzuführen auf den Abbau sozialer Leistungen. Grob geschätzt kann man davon ausgehen, dass in diesem Falle ca. 70 – 80 Prozent der Parlamentarier für die bestehende Politik votieren. Und genauso verhält es sich mit der Friedens- respektive Sicherheitspolitik. Auch diese wird von ca. 70 bis 80 Prozent der Parlamentarier so getragen. Gerade die Reaktionen auf die aktuelleren Militärschläge gegen Syrien bestätigen das umgekehrte Verhältnis.
Ist es so befremdlich, dass, wenn in den entscheidenden existenziellen Fragen das Parlament und das Volk so weit auseinanderliegen, von einer Krise gesprochen werden muss? Und ist es bei einer solchen Konstellation wahrscheinlich, dass irgendwelche russischen Trolle dafür verantwortlich sind, dass sich tiefes Misstrauen breit macht im Land? Es ist ein altes Rezept, auf Feinde von außen zu verweisen, wenn die Politik im Innern nicht mehr stimmt beziehungsweise zunehmend kritisiert wird. Da greift Frau Merkel zu den gleichen Instrumenten wie Herr Erdogan. Aber, wenn das Instrument durchschaut ist, stehen die richtigen Fragen immer noch im Raum.
