Endlich, endlich ist wieder ein Thema gefunden, das kaum gesellschaftliche Relevanz besitzt, welches aber geeignet ist, die Gemüter über Monate zu erhitzen und sich vor allem von allem abzuwenden, das gravierend auf die tatsächlichen Lebensbedingungen Einfluss hat. Wir kennen das schon, es sind meist durchaus sinnvolle Betrachtungsweisen, aber über keine profunden Dinge, gerade das jedoch macht ihren Charme aus. Man kann sich erhitzen und den tatsächlich erforderlichen Kampf um eine vermeintliche politische Lufthoheit führen, ohne dass es dabei zu ernsthaften Verletzungen kommt.
Dosenpfand und Plastiktüten waren solche Geschichten, die vor allem Beobachterinnen und Beobachter von außen zunächst ungläubig staunen ließen und dann zu verständnislosem Kopfschütteln führten. Wie kann, so fragten sich viele, wie kann eine Gesellschaft mit dieser Geschichte und Produktivität in einen derartigen Streit verfallen, wenn es um Fragen der täglichen Sachbearbeitung geht? Und wie kommt es, dass die Fragen, die die Strategie des Landes betreffen, im toten Winkel des gesellschaftlichen Auges, quasi auf dem Pissoir, verhandelt werden und kaum die Gemüter erhitzt?
Was begann mit einer hochtrabenden Theorie, der des kommunikativen Handelns, die besagt, dass es notwendig sei, einen gesellschaftlichen Diskurs zu führen über die politisch relevanten Themen, hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Die Theorie konzedierte, dass die Voraussetzungen, diesen Diskurs zu führen, bereits in der Entstehung des Industrialismus nur Wenigen gegeben war. Geändert hat sich seitdem wenig, mit Ausnahme zweier verhängnisvoller Fehlinterpretationen.
Zum einen wurde das Ziel des geforderten gesellschaftlichen Kurses, nämlich eine Verständigung über die politischen Notwendigkeiten herzustellen, vulgarisiert zu dem Theorem, alles sei verhandelbar. Aus dem hehren gesellschaftlichen Diskurs wurde ein recht trivialer Bazar für individuelle Bedeutsamkeit, die gesellschaftlich nichtig ist. Zum anderen setzte ein in seiner Geschichte nie da gewesener Entmündigungsprozess ein, der es immer weniger Menschen ermöglichte, an einem aktiven Diskurs überhaupt teilzunehmen.
Das Resultat dieser Entwicklung liegt vor uns und ist das, worüber durchaus Vertreter des gleichen Zivilisationskreises nur noch den Kopf schütteln können. Und, damit das alles gut illustriert werden kann, es hat sich nach den Klassikern von Dosenpfand und Plastiktüte nun der Kassenbon hinzugesellt. Wirtschaftsminister Altmaier, der auf die Idee Kamm, dieses Thema zu etablieren, ist der Mann des Jahres. Dieser Schachzug war genial. Denn mit dem Kassenbon wird die Ideologiemaschine mit ihren Sondersendungen, Sonderberichten, Talk Shows und Features wieder laufen wie geschmiert und die ganze Nation wird rüsten zum letzten Gefecht.
Ob es sinnvoll sei, so die scheinheilige Frage, bei jedem profanen Geschäftsprozess soviel Papier zu produzieren, das die Natur nachhaltig belaste, ob es nicht reiche, nur die damit zu bedienen, die tatsächlich wert darauf legten? Dass bei einem solchen Unterfangen die Geschäftsprozesse weiter verlangsamt und kompliziert werden, merkt kaum noch einer, und dass sie ablenken von anderen Dingen, ist kein Zufall, sondern intendiert.
Wenn das Thema so richtig hochkocht, wird das NATO-Manöver „Defender“ an der russischen Grenze Ressourcen verschleißen und die Natur belasten wie alle Kassenbons der Welt in den nächsten Jahrzehnten es nicht vermögen, aber die Diskussion wird sich mit religiöser Inbrunst dem Thema Kassenbon hingeben und der Coup Genial des Wirtschaftsministers wird erfolgreich sein.
Die Theorie des kommunikativen Handelns ist aus den Designerbüros der Frankfurter Schule in den Souk eines bunten, doch profanen Bazars gewandert. Dieser hat ideologischen, hat Herrschaftscharakter. Der Kassenbon ist das neueste Indiz.
