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Gott liebt den Soul

Aaron Neville. I Know I´ve Been Changed

Nirgendwo offenbart sich der natürliche Reichtum so wie in den Tropen. Und nirgendwo lauern die tödlichen Gefahren so wie dort. Die menschliche Vorstellung vom Reiche Gottes korrespondiert am Stärksten mit den Lebensbedingungen im Dschungel. Die Nähe von Paradies zu Untergang wird dort täglich unmittelbar erfahrbar. Die einzige Steigerung zu diesem Biotop, die noch möglich ist, bieten die Metropolen in den Tropen und von diesen wiederum ist es wegen der Diversität New Orleans, das zu einem Inbegriff biblischer Ambivalenz in der Neuzeit avancierte. Dort gab es die Sklaverei und das Zusammenfließen von Einflüssen aller Kontinente und dort gesellte sich zur physischen Sensualität die Unzüchtigkeit einer Musik, die einzigartig ist.

Aaron Neville, ein Kind dieses New Orleans, dessen Name das Zusammenwuchernde der Weltkulturen offenbart, hat mit der Muttermilch den Soul in sich aufgenommen und ist ihn in über 50 Jahren Bühnenpräsenz auch nicht mehr los geworden. Kein Wunder, dass er sich anlässlich dieses Jubiläums zu Aufnahmen entschieden hat, die als Urkanon des Soul per se genommen werden können. Zusammen mit dem Pianisten Allen Toussaints, einer weiteren Legende des Big Easy, entstand das Album I Know I´ve Been Changed, das sich jeder anhören sollte, der die hohe Luftfeuchtigkeit und den Soul liebt.

Egal, welche der zwölf Nummern gespielt wird, sie alle sind tropische Evergreens, intoniert von der süßen und etwas öligen Stimme Nevilles und untermalt von schrägen Bordellakkorden, die das Gewohnte, teilweise Fromme und Innige in eine Leichtigkeit transponieren, die die Vergänglichkeit alles Irdischen intensiv spürbar macht.

Stand By Me ist Hilferuf, Mahnung und Hoffnung in Einem, I Know I´ve Been Changed mutet an wie ein Logbuch des Werdens und Vergehens, Oh Freedom weiß um die Ambivalenz aller Freiheit, die nicht nur die Entfaltung, sondern auch den Untergang in sich birgt und There´s A God Somewhere inszeniert sich wie Bekenntnis und Nonchalance.

Das Kuriose und gleichzeitig Faszinierende an den Aufnahmen von Neville und Toussaints ist die chronische Ambivalenz der Wirkung. Was zunächst als ein Gospel daherkommt und als eine zweifelsfreie Frömmigkeit erscheint, wird immer wieder gebrochen von der Sensualität des Irdischen, von den Gelüsten und Wünschen des fehlbaren Menschen, der sich nichts mehr wünscht, als mit seinen Trieben göttlich zu sein. I Know I´ve Been Changed hat den Charme der augenzwinkenden Selbsterkenntnis. Zu uns sprechen Menschen, die sich selbst nicht zu ernst nehmen, deren Leidenschaft darunter jedoch nicht leidet.