Schlagwort-Archive: 9/11

Satanische Verse

Der Zynismus lebt in guten Zeiten. Ihm zu Folge hat die Welt komplett den Verstand verloren. Des Rätsels Lösung kann nur faustisch sein. Denn, folgt man den Interpretationen zu Ereignissen in dem jeweils einem anderen Lager zugerechneten Ereignissen, dann werden diese grundsätzlich verschieden gedeutet. Die einen unterstellen den anderen, dass es sich nicht um Tragödien, schreckliche Vorfälle und Exzesse des Terrorismus handelt. Und die andere Seite ist schnell damit dabei, die Schrecknisse als Inszenierungen der jeweils anderen Seite zu bezeichnen, um eine Stimmung zu erzeugen, die der eigenen Agenda günstig ist. Wer uns so angreift, heißt es in diesem Kalkül, der darf sich nicht wundern, wenn wir erbarmungslos- wie rücksichtslos reagieren.

Ein Fanal in dieser Auflistung der gegenseitigen Bezichtigung waren die Anschläge in den USA, die heute als 9/11 ein Begriff sind. Die USA nutzten sie, um einen Krieg gegen den Terrorismus zu führen, der eine nicht mehr zu berechnende Totenquote zeitigte, die in keinem Verhältnis zu den Opfern dieser Anschläge zur Folge hatte. Fremde Länder wurden besetzt und mit Gewalt überzogen, ohne jede völkerrechtliche Legitimation, Vorwände über Vorwände wurden geliefert, um ein Land nach dem anderen ins Fadenkreuz zu nehmen. Das hatte derartige Dimensionen, dass irgendwann die Theorie aufkam, 9/11 sei inszeniert gewesen, um eine solche Agenda in den Ländern, die man mit in den Schlamassel gezogen hat, mehrheitsfähig zu machen. Selbstverständlich kam die Antwort, dass eine derartige Interpretation nur aus den Hirnen von Verschwörungstheoretikern kommen könne.

Anders herum haben Terroranschläge, die in Russland verübt wurden, ebenfalls dazu gedient, gegen bestimmte Gruppen und Staaten rigoros, mit Gewalt und militärisch vorzugehen, die hinter diesen Anschlägen vermutet wurden. Und selbstverständlich kam von der Gegenseite die Vermutung, das sei alles inszeniert gewesen, um eine legitimatorische Carte blanche für den eigenen Terror zu erhalten. Dass es sich dabei um eine Verschwörungstheorie handelt, hört man, zumindest in unseren Gefilden, eher selten. Denn wer auf Seiten des Guten ist, der hat bereits die Carte blanche. Für alles. Der Krieg in Gaza liefert ganz aktuell und brachial das gleiche Muster, an dem sich die Parteien abarbeiten.

Dass in jedem Fall Menschen geopfert werden, die an den jeweils politischen Verhältnissen relativ unbeteiligt sind, gehört zum Spiel. Die jeweiligen Bezichtigungen sind deshalb nicht aus der Luft gegriffen, weil im Kampf konkurrierender Mächte alles möglich ist. Wenn es um Macht, Einfluss und den Ressourcenvorteil geht, sind alle Mittel recht. Das Dumme für die von sich so eingenommenen aufgeklärten und gebildeten Betrachter aus dem Westen ist nur, dass dieses Spiel seit mehreren Hundert Jahren vom Westen seitens unterschiedlicher Akteure auch gespielt wird. 

Der Rat, der gegeben werden kann, wenn einmal wieder gemetzelt und gemordet wird, ist der, sich auf keinen Fall zu Vergeltungsdenken verleiten zu lassen. Es kommt darauf an, es aus der Perspektive der Opfer zu sehen und sich die Frage zu stellen, wer aus diesem abartigen Spiel einen Vorteil ziehen könnte. Alles, was seitens konkurrierender Parteien dazu gesagt wird, hat den Charakter von satanischen Versen. Und wer sie in die Welt setzt, sollte der Fatwa unterliegen. Die Barbarei ist der Feind aller, die nicht besoffen sind vom eigenen Geist der Verschwörung. 

Die NATO, 9/11 und die Nordstream Pipeline

Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York City im Jahre 2001, bis heute bekannt unter dem Schlagwort 9/11, geschahen Dinge, die angesichts aktueller Entwicklungen eine neue Dimension bekommen. Der damalige Präsident der USA, George W. Bush junior, brachte es nämlich fertig, dass die NATO den Bündnisfall ausrief. Zugeschrieben wird die Tat, zumindest von offizieller amerikanischer Seite, bis heute der Organisation Al Quaida. Diese wiederum war keine staatliche Organisation, sondern ein Zusammenschluss von dem politischen Islam anhängenden Menschen zumeist aus Afrika und Asien. Pikant bei der Geschichte war die Tatsache, dass die USA ihrerseits Al Quaida während des Krieges der Sowjetunion in Afghanistan finanziell und logistisch unterstützt hatte. Entscheidend war nun jedoch das Faktum, dass die NATO-Mitgliedsstaaten das Spiel mitmachten und den Bündnisfall beschlossen. D.h. die NATO-Staaten befanden sich im Krieg mit einer multi-ethnischen, auf Freiwilligkeit basierenden Organisation. Ein Präzedenzfall, der in der Statuten der Organisation nicht vorgesehen war. 

Fühlten sich die Mandatsträger der Bundesrepublik Deutschland so souverän wie damals George W. Bush junior und sähen sie in der Zerstörung der Nordstream Pipelines in der Ostsee einen Sabotageanschlag auf die Bundesrepublik Deutschland, dann müssten sie bei bloßem Verdacht auf eine externe staatliche Macht den NATO-Bündnisfall anstreben. Da jedoch, da nun mehr als vieles dafür spricht, dass die USA den Anschlag verübt haben, der Bündnisfall gegen ein anderes, und zwar das mächtigste NATO-Mitglied ausgesprochen werden müsste, wird das ganze Dilemma offenkundig. 

Es handelt sich dabei nicht um ein solitäres Dilemma der NATO. Letztere hat sich seit 9/11 in höllischem Tempo von einer intendierten Verteidigungsgemeinschaft zu einem imperialistischen Interventionsbündnis gewandelt. Die traurige Rolle der Bundesrepublik bestand in diesem Prozess darin, dass sie den exklusiven Verteidigungsgedanken, der im Grundgesetz stand, abschrieb, die eigenen Streitkräfte auf Intervention umstellte und unter dem Schirm der aggressivsten Macht des Bündnisses schlafwandelte. Konstatiert man, dass sich der Fall so abgespielt hat, wie es der amerikanische Investigativ-Journalist Seymour Hersh nachgezeichnet hat, dann hat ein NATO-Mitglied gegen ein anderes NATO-Mitglied einen Terroranschlag verübt. Alle wissen es, und keiner sagt etwas. Die Botschaft, die dieses „Bündnis“ damit in die Welt aussendet, ist eindeutig: das kann nicht mehr lange gut gehen. Und wer auf Zeit setzt, macht auf keinen Fall einen Fehler. 

Das eine, nämlich das politische Debakel, wird bei dieser Geschichte eskortiert von dem anderen, nicht minder besorgniserregenden, nämlich dem medialen. Was sich nach der Veröffentlichung der Recherchen von Hersh in der hiesigen Medienlandschaft abspielte, ist eine wunderbare Dokumentation dafür, dass ehemalige gut bürgerliche Nachrichtenorgane längst zu kriminellen Vereinigungen mutiert sind. Noch in der Nacht wurde der deutsche Wikipedia-Eintrag zu Seymour Hersh so manipuliert, dass bei der Lektüre suggeriert wird, der Mann habe immer am Abgrund von Verschwörungstheorien gestanden. Im SPIEGEL war der Journalist von Weltruf plötzlich ein umstrittener Blogger. Die Handhabung eines Falles von nationaler Tragweite als ein Hirngespinst von Hysterikern deutet noch einmal auf die Notwendigkeit hin, sich nicht mehr mit dieser Art der Journaille, sondern mit denen auseinanderzusetzen, die diese Propaganda-Organe besitzen und instruieren. Die mit der systematischen Verbreitung von Unwahrheiten die staatlichen Institutionen  zerstören und Kriege glorifizieren. Verdienen werden sie, die nicht mehr lange so unbekannt sind, wie sie sich wähnen. Und die, die für diese Machenschaften wie immer bezahlen sollen, werden es nicht mehr hinnehmen. Und ansonsten? Fordern wir doch den Bündnisfall!  

Ten Years After

Katastrophen und Krisen haben auch etwas Reinigendes. Sie können dazu beitragen, die bisherige Entwicklung zu reflektieren und sich bewusst zu machen, wo man steht und wohin die Reise gehen soll. Bei der Betrachtung der medialen und politischen Aufbereitung des 10. Jahrestages der Anschläge auf das New Yorker World Trade Center und weitere amerikanische Ziele ist davon jedoch nicht viel zu spüren. Ganz nach der alten Weisheit der Theorie der Avantgarde, dass nach der Verflüchtigung des Schocks sich mit allem ein Geschäft machen lässt, werden Geschichten darüber erzählt, wie wer wo was erlebt hat. Ja, ich war dabei, das ist oft die Botschaft, die mit dieser seichten Aussage dann auch zu Ende gekommen ist. Viel von dem, was im Jahr 2001 noch als guter Vorsatz formuliert worden war und sich auf eine Standortbestimmung bezog, ist längst im allgemeinen Datenmüll geschreddert.

Ein Bilanz dessen, was in jenem September geschah, ist nicht unbedingt eine diffizile Sache. Die von Osama Bin Laden gegründete Organisation Al Quaida hatte einen gut geplanten und organisierten Anschlag auf die Herzsymbole des amerikanischen Imperiums erfolgreich durchgeführt. Sie waren das Werk einer kriminellen Vereinigung, die sich in Technik und Logistik seit dem Krieg in Afghanistan gegen die UdSSR hervorragend präparieren konnte. Al Quaida war der Zusammenschluss von Warlords aus den herrschenden Klassen vorwiegend islamischer Länder, die über kein politisches Programm für die Weiterentwicklung ihrer Länder verfügten oder verfügen. Die so genannte islamische Welt hat nicht nur bis zum heutigen Tag von keiner einzigen Aktion Al Quaidas profitiert, sondern auch weit mehr Opfer zu beklagen als die westliche Welt.

Dennoch reichte die seichte Propaganda dieser Organisation aus, um die westlichen Gesellschaften in vielen Fällen zu spalten. Vor allem in der Bundesrepublik gab es eine Reihe von Verstehern, die den Anschlägen soziale Motive unterstellten und den USA die Quittung für ihre imperiale Politik bestätigten. Über letzteres kann man streiten, aber Al Quaida, dem politischen Esprit einer Sklavenhalterclique, dieses Recht zuzugestehen, gleicht einer historischen Generalamnesie.

Die Reaktion der USA und der restlichen westlichen Welt war nicht die reinigende, die hätte stattfinden können. George W. Bush schlug zurück wie ein wild gewordener Bär und schmiedete innerhalb der islamischen Welt eine Allianz mit genau den Kräften, die für das Unheil standen. Innerhalb der USA beeinträchtigten und beeinträchtigen die vielen Sicherheitsmaßnahmen das Zusammenleben sehr und sie tragen nicht zu einer Renaissance der tradierten Freiheit bei. Die meisten europäischen Länder haben ihr Verhältnis zu den islamischen Ländern nicht überdacht, auch sie kooperierten mit den alten, reaktionären Kräften aus diesem Teil der Welt, wie sich gerade in jüngster Zeit an den Beispielen Ägyptens, Tunesiens und Libyens gezeigt hat.

In der islamischen Welt hingegen ist bereits direkt nach den Anschlägen eine leidenschaftliche Diskussion geführt worden, die sich vehement gegen den Terrorismus Al Quaidas richtete und eine Perspektive zu einer aufklärerischen Entwicklung öffnete. Man könnte also resümieren, dass der Westen mit seiner Reaktion dokumentiert hat, dass seine spirituellen Erneuerungskräfte nicht im besten Zustand sind, während in der islamischen Welt den jungen Generationen der Blick nicht verstellt war. Sie scheinen erkannt zu haben, dass Terror und Militarisierung nicht das Mittel sind, welches sie weiter bringt. Das ist ein Grund zur Hoffnung, auch wenn sie nicht in der eigenen Lebenswelt beheimatet ist.