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Graf Stauffenberg und der Putsch in der Türkei

Heute, am 20. Juli, werden wieder Gedenkfeiern stattfinden. Man wird sich auf Graf Stauffenberg berufen, jenen Offizier, unter dessen Namen ein missglücktes Attentat auf den Diktator Adolf Hitler in die Geschichte eingegangen ist. Die offizielle Politik wird wie jedes Jahr den Männern um Stauffenberg ihre Referenz erweisen und ihnen die Ehrenbezeichnung des anderen Deutschland zusprechen, womit das humanistische, demokratische Deutschland jenseits des Faschismus gemeint ist. Und es wird eine Ethik räsoniert werden, die besagt, dass auch der politische Mord im Angesicht einer grausamen Diktatur eine angemessene und bewundernswerte Sache sein kann.

Was bei den Reden allgemein vergessen wird ist die genaue Analyse der historischen Situation wie der politischen Ziele des Kreises um Stauffenberg. Denn im Juli 1944 war die Wende des Krieges bereits vollzogen und vollkommen klar, dass Deutschland am Ende den Krieg verlieren würde. Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob es ein Attentatsversuch gegeben hätte, wenn Deutschland noch auf dem Vormarsch gewesen wäre. Aber es ist sicher, dass der Teil der Generalität, der Hitler ein Ende setzen wollte, im Hinblick auf die gemachten Eroberungen retten wollte, was aus ihrer Sicht zu retten war. Und was die Staatsform anbetrifft, die die Faschistendiktatur ablösen sollte, so war von einer konstitutionellen Monarchie die Rede. Ansinnen, Motiv und Intention dieses 20. Juli verströmen nicht unbedingt die Aura von Humanismus und Demokratie, sondern von vielleicht preußischem Realismus, und staatsräsonablem Militarismus.

In diesem Kontext stellt sich natürlich die Frage, wieso ein solches Ereignis in dem demokratischen Narrativ der Bundesrepublik einen derartig hohen Stellenwert einnehmen kann. Die Antwort liegt an einem einfachen Umstand: der sozialdemokratische wie der kommunistische Widerstand galten in der Geschichtsschreibung während des Kalten Krieges als das Werk von Aussätzigen und die Eliten der neuen Republik standen in keiner demokratischen Tradition. Das einzige, auf das man sich berufen konnte, war der systemimmanente Widerstand gegen Hitler. Stauffenberg, dem eine eigene, persönliche Integrität und Courage attestiert werden muss, stand nie für eine demokratische Tradition und nicht für einen demokratisch motivierten Widerstand.

Dennoch wird an der Erzählung weitergearbeitet, obwohl es Anlässe gäbe, das Irreleitende zu korrigieren und aus der Fälschung ein Original zu machen. Der vermeintliche Putsch in der Türkei und die Gegenmaßnahmen in diesen Tagen wäre ein solcher Fall. An ihm ließe sich ablesen, wie wir zu der Aussage stehen, dass es legitim ist, sich gegen den Tyrannen zu erheben, um Schaden von der Nation abzuwenden. Und wenn der Tyrann sich als ebenso grausam und unberechenbar herausstellt wie das historische Vorbild, dann wäre die Ableitung, dass auch das Militär das moralische Mandat besitzt und intervenieren müsste.

Aber genau diejenigen, die heute wieder ihre tränenschwangeren Reden halten werden, um dem unglücklichen Stauffenberg die Ehre zu erweisen, waren sehr schnell zu hören, dass sie dem Tyrannen vom Bosporus eine demokratische Legitimation zusprachen, obwohl diese als Ergebnis von staatsterroristischen Maßnahmen zustande gekommen war. Sie verurteilten das meuternde Militär und lobten den Henker und sie schwiegen zu dem Schlachten gegen alle, die nicht auf Linie sind seitdem. Selbst der der Aristokratie entstammende Stauffenberg, der niemals Demokrat war, der aber bestimmte zivilisatorische Werte vertrat, hätte ein solches Schauspiel nicht ertragen. Insofern huldigt ihm heute nicht. Schämt euch, für eure eigene Armseligkeit!

Über den ritualisierten Widerstand

Es sei davor gewarnt, sich über Taten moralisch zu erheben, die vieles Richtiges beabsichtigten und wofür mit dem Leben bezahlt wurde, auch wenn sie scheiterten. Insofern haben die jährlichen Erinnerungen an die Bewegung des 20. Juli ihre Berechtigung. Ein Kreis aus der renommierten preußischen Generalität hatte versucht, den Diktator Hitler zu beseitigen. Das war ein mutiger Schritt, der die Hinrichtung nahezu aller Beteiligter zur Folge hatte. Es sei ebenso davor gewarnt, diese Form des Widerstandes zu einem Gründungsmythos der späteren Demokratie in Deutschland zu stilisieren, denn damit hatte der 20. Juli wenig zu tun.

Die Widersprüche zwischen der preußischen Generalität in der Wehrmacht und Hitlers Herrschaft definierte sich zunächst nicht über die Kriegsziele. Der Wunsch, vor allem nach Osten auch militärisch zu expandieren hatte in eben dieser Militärnomenklatura eine lange Tradition. Sie wurde flankiert durch das Diktum der ostpreußischen Teile, das sich erklärte aus der sozialen Herkunft von Großgrundbesitzern, die seit dem Deutschherrenorden die Unterwerfung Russlands als Traum gelebt hatten.

Die Widersprüche zu den herrschenden Faschisten leiteten sich ab aus den nationalsozialistischen Maßstäben, die die Privilegien des alten Bestandsadels negierten und Parteiparvenüs kometenhafte Karrieren garantierten. Das sind keine Motive für eine Verklärung aus demokratischer Sicht. Was man den Männern des 20. Julis neben der beabsichtigten Vernichtung des Monstrums Hitlers zugute halten kann, war ihre tiefe Aversion gegen die Barbarisierung des Kriegshandwerks und die wachsende Routine von Pogromen gegen die Zivilbevölkerung. Die Agenda, mit der der Widerstandskreis bei einem Erfolg in Verhandlungen mit den kriegsführenden Parteien gehen wollte, bestanden in der Absicherung von Territorialgewinnen, die aus den Aggressionskriegen resultierten. Gerade letzteres wird bei den Feierlichkeiten anlässlich des 20. Juli immer verschwiegen. Es wird suggeriert, dass die preußische Generalität Teil eines besseren Deutschlands gewesen sei, was bezweifelt werden muss.

Es ist nicht von Ungefähr, dass sowohl der 20. Juli als auch so manche Widerstandsveranstaltung gegen Nazitreffen von Menschen frequentiert werden, denen man attestieren muss, dass sie es bei ritualisierten Veranstaltungen des Widerstands belassen, um Mythen zu bedienen und die nicht sichtbar sind, wenn es darum geht, der täglichen Despotie die Stirn zu bieten. Es ist ein heikles Unterfangen, denn es ist nicht falsch, das Attentat auf Hitler bei einem Festakt zu würdigen, es ist nicht falsch, gegen Nazis mit mehreren Hundertschaften der Polizei im Rücken zu protestieren und es ist auch nicht falsch, die Menschenrechte der Palästinenser in Gaza zu reklamieren. Es bekommt aber einen eigenartigen Geschmack, wenn der 20. Juli nicht auch als eine expansionistische Rettungsaktion deutschnationaler Interessen charakterisiert wird, wenn nicht diejenigen, die so mutig auf gesicherten Anti-Nazi-Demonstrationen auftreten, mit einem roten Kopf im Publikum sitzen, wenn tatsächlich die Courage des Widerstands gefragt wäre und wenn diejenigen, die zurecht israelische Gewalt gegen Zivilisten anprangern, nicht die Redlichkeit aufbringen, menschliche Schutzwälle von HAMAS oder HISBOLLAH als das zu klassifizieren, was es ist: Eine Form von Zynismus, der das Wesen des Faschismus ausmacht.

Die vermeintlich heile Welt des antifaschistischen und antiimperialistischen Widerstands hat ein Stadium erreicht, die selbst die eingespieltesten Rituale nicht mehr retten können. Die Mobilisierung für eine Veränderung beklagenswerter Verhältnisse kann nicht gelingen, wenn die politische Roadmap für eine andere Zukunft nicht beschrieben wird. Dazu gehört weder völkerrechtswidrige Landnahme, noch mangelnde Courage im Alltag und auch nicht die Toleranz gegenüber der bewussten Geiselnahme von Zivilbevölkerung. Egal auf welcher Seite. Überall.