Eddys Entsetzen

Heute habe ich Eddy getroffen. Eine Seltenheit, denn dieser explosive Typ wohnt schon lange nicht mehr hier. Wir kennen uns aus dem Sandkasten. Nach der Grundschule trennten sich bereits unsere Wege, aber wir trafen uns immer wieder. Das Interessante dabei war, dass sich quasi jedesmal unsere Existenzform verändert hatte. Eddy hatte alles durchlaufen! Er war Bergmann, Stahlkocher, hat Autos montiert und Motoren gebaut. Und irgendwann trieb es ihn hinaus in die Welt. Er war Bootsmann in Florida, Gastronom in Thailand und Broker in England. Wenn ich ihn fragte, wie er das mache, kniff er mir ein Auge zu und sagte, man müsse nicht alles an die große Glocke hängen. 

Jetzt kam er mal wieder nach Alt-Germanistan, wie er sich ausdrückte. Und auch jetzt fielen ihm wieder Dinge auf, die ihn sogleich furchtbar aufregten. „Sag mal, wie war das noch, wenn wir früher in der Schule voneinander abgeschrieben haben? Du bekamst das Heft weggenommen oder gleich eine Sechs und einen Verwies. Und jetzt gibt es dafür gleich den Pulitzer-Preis oder wie das Ding hier heißt.“ Was er meinte war die ausbleibende Vielfalt im Zeitungswesen. „Egal, welches Blatt du in die Hände nimmst, überall steht der gleiche Unsinn, und auch noch bis hin zur Formulierung. Kommt ihr euch nicht verarscht vor?“ 

Und dann ging er noch auf die Qualität der Meldungen ein. Ihn interessiere es nicht die Bohne, ob eine Bundestagspräsidentin namens Klöckner bei der Mutter eines Quizmasters zum weihnachtlichen Essen erschienen sei und die Mutter „das Mädchen“ gelobt habe. Oder ob eine Sportreporterin ihren Gatten geheim halte. Oder ob amerikanische Superreiche in ihrem Urlaubsdomizil eingeschneit würden. „Was“, so fragte mich Eddy, „ist hier eigentlich passiert, „dass man einer Bevölkerung, der man weltweit immer ein gewisses Niveau attestiert hat, sich mit derartigem Rotz füttern lässt?“ 

Und er fuhr fort. Das, was er über die politischen Positionen dieses Landes sagte, ist vom Vokabular kaum kolportierbar. Deutlich wurde, dass Eddy, mit seinen Erfahrungen, die er in früheren Jahren in diesem Land gesammelt hat und den Einsichten, die er an verschiedenen Punkten dieser Welt vermittelt bekam, zu dem Ergebnis kam, dass strategische Dummheit und hochgradige Dekadenz miteinander einen finalen Wettkampf abhielten. Vornehm formuliert!

In der langen Zeit, die wir uns nun kennen, waren die Treffen immer für beide Seiten Anlass, sich an den Geschichten des jeweils anderen zu ergötzen. Vor allem natürlich, weil Eddy im wahren Sinne des Wortes ein Leben auf der Wanderschaft führte und führt. Und die Wanderschaft die höchste Schule des Lebens darstellt! Heute war das anders. Ich fühlte mich bemitleidet, dass ich nun das täglich mit ansehen muss, was ihn so anwiderte, dass er den Tag seiner nächsten Abreise demnächst herbeisehnt. 

Jedesmal, wenn wir uns in der Vergangenheit voneinander verabschiedeten, ging es sehr emotional zu, weil uns immer bewusst war, dass es das letzte Mal sein konnte. Mit fortschreitendem Alter erhöht sich diese Wahrscheinlichkeit noch. Als wir uns jetzt Adieu sagten, waren wir traurig wie nie zuvor. 

Eddy ist schon auf dem Weg nach Asien. Dort, so meinte er, spielt jetzt die Musik. Wie so oft hat Eddy wohl recht. Wie immer, ging er mit den Worten, Ubi bene ibi patria! Eddy hatte nie Latein. Aber ein Leben, das ihn vieles lehrte!  

Eddys Entsetzen

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