Rüstung: In dulci jubilo!

Irgend etwas scheint nicht zu stimmen mit der aktuell verbreiteten These, man habe keinen Blick auf die Geschichte. Bei der Frage, ob etwas daraus gelernt wurde, mögen die Zweifel zumeist zutreffen, allerdings sind in Phasen großer Veränderungen die Blicke immer auf die Geschichte gerichtet. Da versucht man zumeist, historische Vorbilder zu finden, die das eigene Handeln erklären oder sogar legitimieren. Immer lauert irgendwo die Antike, oder irgend eine Revolution oder sogar ein Denker, der das, was viele Menschen an der momentanen Situation so verunsichert, erklären kann. 

Und tatsächlich: die Beispiele sind zahlreich, in denen in der Geschichte man davon sprechen konnte, dass, wenn Herrschaftsformen und deren Akteure sprichwörtlich mit ihrem Latein am Ende waren, man zu den Waffen griff, um dem semantischen Elend zu entkommen und erst einmal Tabula rasa zu machen. Koste es, was es wolle. Weil den Preis in der Regel andere zahlen müssen als diejenigen, denen nichts anderes mehr als Krieg und Zerstörung einfällt.

Das schwedische Institut SIPRI, unabhängig und international anerkannt, veröffentlichte jetzt die Erfassung der Militär relevanten Zahlen für das Kalenderjahr 2024. Daraus geht hervor, dass in diesem Jahr global 2,7 Billionen US Dollar für Militär ausgegeben wurden. Aktueller Anlass seien verschiedene Kriege, vor allem der in der Ukraine und der in Gaza, die dafür verantwortlich seien. Ca. 60 Prozent der weltweiten Militärausgaben wurden von den USA, China, Russland, Deutschland und Indien getätigt. Zum Vergleich: bei der jüngst im brasilianischen Belem abgehaltenen Klimakonferenz wurden weltweit Ausgaben von ca. 100 Milliarden zum Schutz von Mensch und Natur beschlossen. Wer die Relation vor Augen hat, weiß, wo die Prioritäten liegen. Kein Wunder, dass die Analyse von SIPRI mit der Feststellung endet, dass durch die Aufrüstungsspirale langfristig die globale Sicherheitslage instabiler werden wird.

Die einzigen, die sich über diese Entwicklung erfreuen können, sind die Rüstungsunternehmen, die wohlweislich einige der ideologisch wildesten Kriegstreiber bereits auf ihren Zuwendungszetteln haben. Dort singt man in der Vorweihnachtszeit nun das „In dulci jubilo“ , man befindet sich in süßer Freude angesichts der Mut- und Ratlosigkeit der politischen Klassen in der sich veränderten Weltlage.

Bei dieser Anlehnung an die Geschichte drängst sich noch der nichts beschönigende Satz Bert Brechts auf, in dem es hieß:

„Das große Kathargo führte drei Kriege. Nach dem ersten war es noch mächtig. Nach dem zweiten war es noch bewohnbar. Nach dem dritten war es nicht mehr zu finden.“

Mit einem Blick auf die politischen Klassen, die sich an diesem Wettlauf beteiligen und deren Perspektive sich in einer illusionären Machtfrage auflöst, sei an die wachsende Instabilität der jeweiligen Ordnungen erinnert, sofern sich die Menschen, die als Kanonenfutter bereits einkalkuliert sind, der Lage bewusst werden. Dann kann dieser falsche Rekurs auf die Geschichte auch noch zu einem richtigen werden. Dann brechen die trotz aller Waffenstarre fragilen Gebilde zusammen wie die sprichwörtlichen Kartenhäuser. Manchmal fehlt ein Wimpernschlag, um die Verhältnisse umzukehren und dem Fiasko ein Ende zu bereiten. 

Und schon sind die unzählig oft Enttäuschten zu hören, die da rufen werden: schön geträumt! Mir fällt in solchen Situationen immer der Satz einer alten Partisanin ein, die als junge Frau dabei war, als ihr Land von fremder Herrschaft befreit wurde: „You never know where the ball rolls!“ 

Rüstung: In dulci jubilo!