Der Kotau und die Konvertiten

Es ist ein eigenartiges Phänomen. Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, mit denen ich im Laufe meiner Entwicklung die gleichen Ideale geteilt habe, mit denen ich zum Teil dafür gekämpft habe, dass sich vieles zum Besseren, d.h. zu einer gerechteren und friedlicheren Welt mausert, haben sich ab einem bestimmten Zeitpunkt komplett verwandelt. Zum einen existiert immer eine Variante, die darin besteht, dass die juvenilen Träume und Ziele einem intensiven Arbeitsalltag weichen und man sich ins Private zurückzieht. Dass ist normal und wundert mich nicht. Dass allerdings und vor allem die ehemals Aktivsten sich irgendwann dazu entschieden haben, ihr Seelenheil bei der schlimmsten Variante des politischen Gegners, den man anno dazumal so vehement bekämpft hat, zu suchen, ist in geringer Zahl ebenso keine Besonderheit, allerdings und vor allem in der jetzigen Quantität ein Novum.

Sieht man sich die Biographien derer an, die sich zu den schlimmsten Hetzern und Kriegstreibern entwickelt haben und mit Feindbildern arbeiten, die an die finsteren Zeiten der braunen Propaganda erinnern, so fällt auf, dass ein gehöriges Quantum von ihnen in der ehemals kommunistischen Bewegung inklusive Parteibildung aktiv und profiliert waren. Und just zu dem Zeitpunkt bei der Gründung der Grünen auftauchten, als die Machtfrage in eine entscheidende Phase getreten war. Da gesellte man sich zu den Freunden biodynamischer Blumenerde und pazifistischer Begegnung. Bis diejenigen in der neuen Bewegung, die den Imperialismus und die Kriegsursachen anprangerten, plötzlich erschossen aufgefunden wurden und im Grab landeten.

Was folgte, war eine Sozialisation in der staatstreuen Angepasstheit und der wohligen Existenz aufgrund durch wenig Fähigkeiten erworbenen Mandate. Und die Angleichung an die alten Feindbilder schritt fort und gelangte an einem gewissen Punkt zum Treueschwur. Der hatte den Charakter, den alle Konvertiten an den Tag legen: Sie stellten die alten, etablierten Hetzer mit ihren Hassreden in den Schatten. Das transportierte viele von ihnen in die höchsten Ämter und bescherte ihnen beachtliche Zuwendungen.

Von außen betrachtet, oder von einer Warte, von der aus das Geschehen ohne Dogmatismus, aber mit einer gewissen, mehr als je zuvor gültigen und notwendigen Zielen von Frieden und Gerechtigkeit verpflichteten Loyalität, ist das zu beobachtende Phänomen an Armseligkeit und Tragik nicht zu überbieten.

Was bitte, geschieht mit Menschen, die irgendwann feststellen, dass sie nicht mehr die Energie haben, oder über die Überzeugung verfügen, dass es sich lohnt, für bestimmte Ziele zu kämpfen? Die Resignation wäre räsonabel, genauso wie die Flucht in andere Lebenswelten. Aber der Pakt mit dem alten Feind? Das Überlaufen ins andere Lager? Der Kotau vor dem, gegen das man aufbegehrt hat? Der Wunsch, dass einem die alten Kriegstreiber einmal wohlwollend über das mittlerweile schüttere Haar streicheln? Das Verleugnen eines Großteils der eigenen Existenz? Und dann noch das Bekenntnis, dass man heilfroh ist, so viel dazu gelernt zu haben und nun geläutert zu sein?

Wäre es nicht selbstverschuldet, könnte man vom Stockholm-Syndrom sprechen. Aber es ist schlimmer. Es ist der Beweis für den eigenen seelischen Substanzverlust, der zu einer Radikalisierung der eigenen Unzulänglichkeit führt und im Bestialischen endet.      

Der Kotau und die Konvertiten

2 Gedanken zu „Der Kotau und die Konvertiten

  1. Avatar von roteweltrotewelt

    Fragen über Fragen. Ich stelle sie mir auch immer wieder und komme zu keiner befriedigenden Antwort. Es bleibt beim Staunen, milde formuliert.

  2. Avatar von Gerhard KellerGerhard Keller

    Dazu fällt mir Tucholsky ein:

    Die Verräter!

    Na, Verräter eigentlich nicht. Ein Verräter, das ist doch ein Mann, der hingeht und seine Freunde dem Gegner ausliefert, sei es, indem er dort Geheimnisse ausplaudert, Verstecke aufzeigt, Losungsworte preisgibt … und das alles bewußt … nein, Verräter sind diese da nicht. Die Wirkung aber ist so, als seien sie welche, doch sind sie anders, ganz anders.

    Da wird man vom Vertrauen der Parteigenossen ausgesandt, mit dem bösen Feind zu unterhandeln, sozusagen die Arbeiter zu vertreten, die ja inzwischen weiterarbeiten müssen. Und die erste Zeit geht das auch ganz gut. Geld … ach, Geld … wenn die Welt so einfach wäre. Geld ist zunächst gar nicht zu holen. Der Arbeiterführer bleibt Arbeiterführer; leicht gemieden von den Arbeitgebern, merkwürdiges Wort, übrigens. Nein, nein, man bleibt ein aufrechter Mann.

    Aber im Laufe der Jahre, nicht wahr, da sind so die langen Stunden der gemeinschaftlichen Verhandlungen an den langen Tischen: man kennt einander, die Gemeinsamkeit des Klatsches eint, und es wird ja überall so viel geklatscht. Nun, und da stellt sich so eine Art vertraulicher Feindschaft heraus.

    Kitt ist eine Sache, die bindet nicht nur; sie hält auch die Steine auseinander. Zehn Jahre Gewerkschaftsführer; zehn Jahre Reichstagsabgeordneter; zehn Jahre Betriebsratsvorsitzender – das wird dann fast ein Beruf. Man bewirkt etwas. Man erreicht dies und jenes. Man bildet sich ein, noch mehr zu verhüten. Und man kommt mit den Herren Feinden ganz gut aus, und eines Tages sind es eigentlich gar keine Feinde mehr. Nein. Ganz leise geht das, unmerklich. Bis jener Satz fällt, der ganze Reihen voller Arbeiterführer dahingemäht hat, dieser infame, kleine Satz: »Ich wende mich an Sie, lieber Brennecke, weil Sie der einzige sind, mit dem man zusammenarbeiten kann. Wir stehen in verschiedenen Lagern – aber Sie sind und bleiben ein objektiver Mann … « Da steckt die kleine gelbe Blume des Verrats ihr Köpfchen aus dem Gras – hier, an dieser Stelle und in dieser Stunde. Da beginnt es.

    Der kleine Finger ist schon drüben; der Rest läßt nicht mehr lange auf sich warten, »Genossen«, sagt der Geschmeichelte, »man muß die Lage von zwei Seiten ansehn … « Aber die Genossen verstehen nicht recht und murren: sie sehn die Lage nur von einer Seite an, nämlich von der Hungerseite. Und was alles Geld der Welt nicht bewirkt hätte, das bewirkt jene perfide, kleine Spekulation auf die Eitelkeit des Menschen: er kann doch die vertrauensvollen Erwartungen des Feindes nicht enttäuschen. Wie? Plötzlich hingehn und sagen: Ja, die Kollegen billigen das nicht, Krieg muß zwischen uns sein, Krieg und Kampf der Klassen, weil wir uns ausgebeutet fühlen … ? Unmöglich. Man kann das unmöglich sagen. Es ist zu spät.

    Und dann geht es ganz schnell bergab. Dann können es Einladungen sein oder Posten, aber sie müssen es nicht sein – die schlimmsten Verräterein auf dieser Welt werden gratis begangen. Dann wird man Oberpräsident, Minister, Vizekönig oder Polizeipräfekt – das geht dann ganz schnell. Und nun ist man auch den grollenden Zurückgebliebenen, die man einmal vertreten hat und nun bloß noch tritt, so entfremdet – sie verstehen nichts von Realpolitik, die Armen. Nun sitzt er oben, gehört beinah ganz zu jenen, und nur dieses kleine Restchen, dass sie ihn eben doch nicht so ganz zu den Ihren zählen wollen, das schmerzt ihn. Aber sonst ist er gesund und munter, danke der Nachfrage.

    Und ist höchst erstaunt, wenn man ihn einen Verräter schilt, Verräter? Er hat doch nichts verraten! Nichts – nur sich selbst und eine Klasse, die zähneknirschend dieselben Erfahrungen mit einem neuen beginnt.

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