Der Mensch gewöhnt sich an alles! Dieser im Deutschen beheimatete und nicht selten gebrauchte Satz beinhaltet eine gute und eine schlechte Botschaft. Die gute bezieht sich auf die Anpassungsfähigkeit in Bezug auf unerwartete Verhältnisse, genau das, was ein Charles Darwin als die Grundlage der Überlebensfähigkeit der Arten beschrieb. Die schlechte ist die, dass du mit Menschen auch vieles machen kannst, ohne dass sie dagegen aufbegehren. Dass der Satz im deutschen Gebrauch mehr im negativen Kontext zuhause ist, verwundert gerade in der aktuellen Lage nicht.
Zum einen scheint es, dass ein Großteil der Bevölkerung dabei ist, sich an politische Verhältnisse zu gewöhnen, die sie im Grunde ablehnt. Bemüht man die Künstliche Intelligenz und stellt Fragen nach dem politischen Willen der Bevölkerung, dann erhält man Antworten, die diametral zu dem stehen, was gegenwärtig die Regierungen praktizieren. Es gab bereits, um diesen Trend zu verifizieren, im letzten Kabinett Minister, die offen zugaben, dass sie der politische Wille der Wählerschaft nicht interessierte. Und der aktuelle Kanzler ist mit allem, betont sei mit allem, in keiner Weise dem nahe, was er vor der Wahl der Bevölkerung als Kurs der Politik angeboten hat. Oder existieren tatsächlich größere Bevölkerungsgruppen, die sich nach der imperialistischen Attitüde des Kalten Krieges zurücksehnten? Und noch schlimmer: Kanonen statt Butter!
Wenn man davon ausgeht, so wie es die Lehre skizziert, dass die demokratische Staatsform auf der Grundüberzeugung basiert, dass die Bevölkerung Menschen beauftragt, ihren Willen in den vorhandenen Parlamenten und demokratischen Institutionen umzusetzen. Dass dieses nur mit Mehrheiten geht, die ihrerseits durch Kompromisse zustande kommen, versteht sich von selbst. Dass sich allerdings jenseits des Wählerauftrags eine politische Klasse herausbildet, die als Allparteienkoalition bezeichnet werden kann, die in keinem Punkt gemäß des Wählerwillens handelt, sondern exklusiv dem Interesse von Lobbys und dem Eigennutz verpflichtet ist, steht nicht in dem schönen Konzept.
Mit der Entwicklung der letzten Jahrzehnte, in denen der Wirtschaftsliberalismus das Gift des Eigennutzes in jede sich bietende Vene injiziert hat, ist längst kein Platz mehr für aus der Demokratietheorie resultierende Ansprüche und irgendwelche Formen der Staatsräson. Insofern ist die Entwicklung folgerichtig. Demokratie und Staatsräson sind mausetot. Es regiert eine Mentalität wie beim legendären Goldrush. Und so wundert es nicht, dass die Akteure aus den zwielichtigsten Verhältnissen stammen, die man sich vorstellen kann. Ehemalige Bankrotteure, die in neuem Gewand wieder auftauchen, Taschendiebe, Revolverhelden und jede Menge Hochstapler.
Es ist nicht die Zeit des Entsetzens. Die wurde bereits in vollen Zügen ausgelebt. Nach dem Schock kam eine gewisse Zeit der Gewöhnung, die an das eingangs angeführte Zitat erinnert, an deren Gültigkeit in diesem Fall Zweifel angebracht sind. Die Gewöhnung hat mittlerweile die erste subversive Form angenommen. So als riebe sich die Bevölkerung die Augen und riefe „Excuse me! Is this Cabaret?“ wird dem, was sie zu erleben genötigt ist, bereits die Loyalität entzogen.
Das Starren auf die Institutionen, die in der überkommenen Demokratie in solchen Fällen Abhilfe schaffen konnten, könnte zu einer großen Frustration führen. Denn sie sind längst unterwandert und werden von der abgehobenen Nomenklatura instrumentalisiert. Dennoch sind jegliche Formen der politischen Depression nicht angebracht. Ein Blick auch in die jüngere Geschichte zeigt: Manchmal genügt auch ein umgeworfener Gemüsestand, um einen Flächenbrand zu erzeugen.

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