Umrisse der Politik

Vielleicht ist es eine typisch deutsche Krankheit, immer in den Kopf derer schauen zu wollen, die gerade dabei sind, wichtige Entscheidungen zu treffen. Was die inneren Beweggründe oder Motive anbetrifft, da sind wir detektivisch unterwegs und kennen uns aus. Ist das reiner Egoismus? Hängt da jemand an seinem eigenen, winzigen Vorteil und macht Dinge, die für das Gros verheerend sind? Ist es die Angst, die immer präsent ist und sich jedesmal aus den Urmythen ihren Weg bahnt? Sind es Abhängigkeiten, die entweder offensichtlich oder gar verborgen sind? Ist es einfach nur Dummheit und Unwissen? Oder handelt es sich nur um das verbreitete Phlegma?

Die Aufreihung dieser Fragen dokumentiert bereits, über was man sich hierzulande so seine Gedanken macht. Die Entscheidung an sich, mit ihren direkten oder indirekten Auswirkungen, fällt da meistens einfach nur schlapp hinter die Kulissen. Doch genau darum geht es! Was machen bestimmte Entscheidungen mit Politik und Gemeinwesen und wie wahrscheinlich sind daraus folgende Entwicklungen? Das ist das eigentlich Wesentliche, um das wir uns kümmern sollten. Alles andere ist, man verzeihe mir diese Arroganz, laues Feuilleton, geeignet für die Samstagsseite einer bourgeoisen Gazette. Aber mit Politik hat das wenig zu tun. Fakt ist immer, was gemacht und entschieden wird. Die Motive und sonstigen Beweggründe sind nachgeordnet zu betrachten. Vielleicht, und einer solchen Betrachtung sollten wir uns nicht gänzlich verschließen, spielt es bei einer strafrechtlichen Bemessung eine Rolle.

Nimmt man nun die von der sich in der Konstituierung  befindenden Koalition beabsichtigten Kreditaufnahmen, so fällt zum einen das Ausmaß auf, das für sich eine gravierende Veränderung von politischen Prioritäten zur Folge haben wird. Zum anderen ist der deklarierte Zweck zu durchleuchten. Bei den Militärausgaben ist darauf hinzuweisen, dass die Investition in Kriegstechnologie bis zur letztendlichen Fähigkeit, diese anzuwenden, ein Zeitraum zwischen fünf und zwanzig Jahren liegt. Bei Drohnen geht das relativ schnell, bei schwerem Gerät dauert es solange, bis der mit Drohnen geführte Krieg bereits alles entschieden hat. Nicht mit einkalkuliert sind die Menschen, die sich dazu bereit erklären und fähig sind, kriegerische Handlungen vorzunehmen. Allein diese Fragen machen deutlich, dass die Investitionen bei der hypostasierten Gefahr, die von einem Aggressor Russland ausgeht, keinerlei Relevanz haben. Trotz der beabsichtigten Investition von einer halben Billion ist ein tatsächlicher Krieg bereits heute, vor dem beabsichtigten Beschluss, verloren.

Analog verhält es sich bei der Infrastruktur. Die Reparatur bereits maroder Brücken ist notwendig, bringt die Entwicklung der Produktivität jedoch nicht voran. Ein Quantensprung bei neuen Technologien und neuen Verfahren findet nicht statt. Damit wären wir bei einer weiteren halben Billion, die das Land nicht weiterbringen wird. Bei der praktischen Fragestellung nach dem konkreten Nutzen und Effekt, die eine politische Beschlusslage nach sich zieht, sind wir also sehr schnell am Ziel. Nichts, was in irgend einer Weise nach vorne wiese.  

Die immensen Aufwendungen, die mit Krediten finanziert werden sollen, werden selbstverständlich den Auftragnehmern großen Nutzen bringen. Bei Rüstungsfirmen und Baukonzernen werden die Sektkorken knallen. Und auch in den parteinahen Fanclubs werden Getränke gereicht werden. Bei der Gesellschaft allerdings nicht. Kriege sind unproduktiv und verheerend, vor allem, wenn sie verloren werden, und intakte Brücken sind notwendig, aber sie werden den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht fördern, wenn keine Zukunftsprojekte in Sicht sind, die etwas zu tun haben mit sozialen und kulturellen Errungenschaften und der Fähigkeit, sich in der Welt durch gute Ideen, Produkte und Verfahren eine zivile Reputation zu erwerben. 

Denken Sie nicht zu sehr über die Motive nach. Das bringt zu wenig. Richten Sie Ihr Augenmerk auf die praktischen Auswirkungen. Sie machen die Umrisse der Politik deutlich. 

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