Nach der Wahl: Illusion ist Zeitverschwendung

Kürzlich wurde mir in einem Gespräch bewusst, in welchen zeitlichen Dimensionen wir uns in unserem politischen Diskurs bewegen. Da sagte mir ein von mir geschätzter Gesprächspartner, als ich auf eine Entwicklung hinwies, die vor dreißig Jahren ausgelöst wurde, dass ich ja Historiker sei und auf derartige Ereignisse achte. Von einem Großteil der Bevölkerung wie von den handelnden Politikern könne man so etwas  nicht verlangen. Einmal abgesehen davon, dass ich kein Historiker bin, irritiert mich die Bemerkung sehr. Und, um den Gesprächspartner zu exkulpieren, Unrecht hat er mit seiner Beobachtung nicht. Das wohl gravierendste Beispiel ist die Reaktion der herrschenden Politik in Bezug auf das Verhältnis zu Russland. Ohne das, egal aus welcher Situation und welchen Motiven, es bis heute keine deutsche Einheit gegeben hätte und dessen Sicherheitsbedürfnis durch das Ausmaß an menschlichen wie materiellen Verlusten, die mit dem Überfall aus Deutschland einher geht, als alter Kram vom Tisch gewischt wird.

Es lassen sich unzählige Beispiele für die Geschichtsvergessenheit der gegenwärtigen deutschen Politik anführen. Ändern würde das nichts, weil es auf zwei Dinge zurückzuführen ist. Erstens will niemand an seine eigenen Verbrechen erinnert werden und zweitens entspricht es den konkreten Interessen bestimmter, tatsächlich herrschender Gruppen, Kriege zu führen und durch die Konstruktion von Feindbildern zu begründen. An diesem Werk sind derzeit viele beteiligt. Umso schlimmer ist der Schock, der durch die Veränderungen in der us-amerikanischen Außenpolitik ausgelöst wurde. Da wird voller Entsetzen davon gesprochen, dass Präsident Donald Trump das russische Narrativ über den Ukraine-Krieg übernommen hätte. Das glaube, wer mag. Vielleicht, als zarter Hinweis, war und ist das eigene Narrativ eine bereits historisch überkommene Mystifikation?

Menschen und Organisationen, die in Veränderungsprozessen erfolgreich waren, ist es in der Regel gelungen, zwei Maximen bei ihren Entscheidungen und in ihrem Handeln unter einen Hut zu bringen. Die eine lautet, dass der Laden laufen muss, die Tagesgeschäfte funktionieren müssen, damit der alltägliche Bedarf gedeckt werden kann. Und die zweite heißt, den Anspruch leben zu müssen. Das heißt konkret, dass bei der Verrichtung der Tagesgeschäfte ersichtlich sein muss, wohin die Reise geht. Das ist nicht einfach, aber der einzige Weg, durch Zeiten radikaler Veränderungen ohne massive existenzielle Schäden hindurch zu kommen. Dazu ist es allerdings erforderlich, über eine Strategie zu verfügen. Mit einem Slogan wie der bekannte, man fahre auf Sicht, ist es nicht getan. Und es verlangt, dass man in der Lage ist, zu kommunizieren, wie das Profane mit dem Programmatischen zusammenhängt.

Bilanziert man das Handeln der Ampelregierung in Deutschland, dann waren dort Teile, die nichts anderes im Sinne hatten, einen wie auch immer gearteten Anspruch zu leben und andere wiederum exklusiv auf das Tagesgeschäft fokussiert waren. Die daraus entstandenen Resultate haben schließlich zum Scheitern geführt. Die Königsregel, die dem Gelingen der Verbindung der beiden Maximen zugrunde liegt, ist allerdings die Qualität der Strategie. Sie darf nicht auf einem Narrativ beruhen, das sich bereits nach kurzer Zeit als eine gravierende Täuschung herausgestellt hat. Und diese Strategie hat sich auf das Land zu beziehen und nicht auf die nächsten Wahlen. Angesichts dieser Erfordernisse ist eine positive Prognose in Bezug auf die neue Kanzlerschaft nahezu ausgeschlossen. Illusion ist Zeitverschwendung. 

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