Als wir ihn zum ersten mal trafen, befanden wir uns auf einer Erkundungsreise. Wir wollten herausfinden, ob wir mit dem Land und der Kultur klarkämen, um dort für einige Jahre zu arbeiten und zu leben. Wir waren nach Jakarta geflogen und hatten uns in unserer Unwissenheit ein Hotel im Chinesenviertel ausgesucht. Dorthin, wo es derb zuging, Tag und Nacht viele rote Lichter brannten und Europäer nie zu sehen waren. In der Tasche hatten wir eine Telefonnummer. Das sei ein wichtiger Kontakt. Von dem erführen wir viel. Als ich ihn anrief und er hörte, wo wir residierten, hörte ich ein rauchiges Lachen und den Vorschlag, wir sollten uns ein Taxi nehmen und ins Zentrum kommen, da müsse er nicht rund um den Pudding fahren.
Der Mann, der uns als Experte für Indonesien empfohlen wurde, sah eher aus wie ein großer, intellektueller und etwas ungelenker Brite aus Graham Greene-Romanen. Tatsächlich war er Deutscher, lebte bereits seit mehr als einem Jahrzehnt in Jakarta und kannte sich bestens aus. Jenes erste Treffen, das neben einem riesigen, rumpelnden Lautsprecher in einer Bar mit einer Liveband stattfand und bis zum frühen Morgen dauerte, diente dazu, uns eine Orientierung zu geben. Es reichte, uns zu überzeugen. Wir hatten danach Adressen und Kontakte in der Tasche, die wir alle nutzten und die weiterhin überzeugten, dass wir das Abenteuer Indonesien wagen wollten.
Meine Tätigkeit bei einer Regierungsinstitution, die sich aufgrund zu erwartender und schließlich auch eintretender politischer Veränderungen radikal reformieren wollte, war auch der Ort, wo er sein Büro hatte. Er öffnete mir alle Türen, er gab mir Tipps und vermittelte mir Kontakte, auf die ich beim besten Willen nicht gekommen wäre. Ich lernte schnell, dass es auf die ankam, und nicht auf irgendwelche Organigramme. Und als 1998 Jakarta brannte und Soeharto gestürzt wurde, bot er an, uns mit einem Hubschrauber in Sicherheit bringen zu lassen. Kein Kontakt, den er nicht hatte.
Sein Büro, in dem immer eine alte Klimaanlage gegen die Hitze hilflos anleierte, lag im Halbdunkel. Hinter einem großen alten Schreibtisch saß er, immer eine Kretek-Zigarette im Mundwinkel, was zur Folge hatte, dass er nie ein Hemd ohne Brandspuren trug. Eine seiner vielen Sekretärinnen brachte zuckersüßen, pechschwarzen javanischen Kaffee. Und dann wurden Pläne geschmiedet, die vom Anspruch die höchsten Vulkane des schönen Javas erklommen und die Touren und Routen in diesem Land der unzähligen Inseln beschrieben, die Abenteuer en masse versprachen. Java, Sulawesi, Sumatra, Lombok, Bali. Wir erlebten zusammen Schiffshavarien und Beinahe-Flugzeugabstürze, in der Regenzeit unbefahrbare Straßen. Manchmal saßen wir in Orten fest, die auf keiner Landkarte standen.
Er kannte gefühlt alle und alle kannten gefühlt ihn. Der Orang Jerman, wie ihn viele nannten, machte vieles möglich. Alles wurde versucht, um in diesem gewaltigen Land mit den unzähligen Kulturen zusammen mit diesen wunderbaren Menschen etwas zu verändern. Die Reisen mit ihm waren pure Abenteuer. Wir saßen bei Gouverneuren, Kapitänen, Philosophen, Fischern und in Spelunken, immer bei Kretek und einem Bintang Bier. Haute Volée und Tingeltangel wechselten sich ab, wir waren in Moscheen und Kirchen, in Hochschulen und auf Märkten. Immer wieder trafen wir Menschen, die ihm irgend etwas verdankten und ihn sehr respektierten.
Obwohl er in seinen letztendlich nahezu vierzig Jahren in Indonesien sicherlich sehr viel Geld verdient hat, war er nicht reich. Zum einen liebte er das Leben in vollen Zügen, er hatte mehr Beschäftigte, als er brauchte, nur um Arbeitsplätze zu schaffen und er bezahlte unzähligen Kindern die Schule und er lieh vielen, die sich selbstständig machen wollten Geld, das er nie wiedersah. Er scherte sich nicht um Besitz und Status, was ihm auf deutscher Seite schadete, auf der indonesischen allerdings nicht. Er speiste mit Präsidenten und Generälen und zählte Minister und Staatssekretäre zu seinen Freunden, er adoptierte einen Waisen und stellte dessen spätere Frau als Sekretärin ein. Als Person und Charakter erschien er vielen als unstet. Als Unterstützer derer, die es nötig hatten, war er ein stabiler Faktor.
Unser Kontakt blieb bis zuletzt. Wenn ich ihm schrieb, konnte es sein, dass ich monatelang nichts hörte. Dann kam, wenn ich gar nicht damit rechnete, eine Antwort, die sich präzise auf meinen letzten Brief bezog. So war er. Heute erhielt ich von einem niederländischen Freund, der auf Java lebt, die Nachricht, dass er in der letzten Nacht verstorben ist.
Vor kurzem noch las ich den Satz, dass Heimat nicht der Ort ist, wo man geboren wurde oder aufwuchs, sondern dort, wo man begraben werde. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob das stimmen mag. Bei ihm, unserem Mann in Jakarta, trifft er zu. Farewell, my friend!

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