The Bitter End

Eigentlich wollte ich mich gerade an eine Einschätzung dessen machen, was heute bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen zu erwarten ist. Dann dachte ich, lass es lieber. Dazu haben sich bereits viele kluge Köpfe geäußert und zahlreiche Scharlatane abgearbeitet. Widme dich lieber einmal etwas Schönem. Und, so klug ist das Unbewusste, mir fiel spontan etwas ein, das sehr weit weg liegt und doch zum Denken über die aktuelle Situation anregt. Aber eins nach dem anderen.

Im Jahr 1961 gründete Jeff Weintraub in der Bleeker Street in Greenwich Vilage, Manhattan, New York, einen kleinen Club. Er nannte ihn „The Bitter End“. In dem Club wurde Live-Musik gespielt und angeboten. Ob es aus Geldgründen oder aus der genialen Idee von Talentförderung entstand, darüber wird heute spekuliert. Fakt ist, dass an mehreren Abenden in der Woche die Bühne frei war, für Musikerinnen und Musiker, die sich trauten, hier in New York, im Big Apple auf die Bühne zu gehen und zu zeigen, was sie konnten. Die Preise im Bitter End waren gemäßigt und das Publikum durfte entscheiden, ob die, die auf die Bühne gingen, weiter machen dürfen oder nicht. Die Liste derer, deren Weg über das Bitter End in die Berühmtheit führte, ist lang. Stevie Wonder, Bob Dylan, Randy Newman, Lady Gaga, Norah Jones und viele andere mehr.

Einer der New Yorker Bürgermeister, meines Wissens war es Ed Koch, anerkannte die Verdienste dieses kleinen, schäbigen Clubs in der Talentförderung und deklarierte jeweils einen Tag im Jahr, den 23. Juli, als Bitter-End-Day, an dem nicht nur der Club mit diesem Namen geehrt wird, sondern alle jungen Musikerinnen und Musiker aufgefordert sind, ihr Zeug zu schnappen und überall dort aufzutreten, wo es ihnen passt.

Sollten Sie jemals in New York sein, dann kann ich Ihnen nur empfehlen, ins Bitter End zu gehen und sich anzuhören, wie viele hochkarätige No-Names sich dort auf der Bühne tummeln und was für ein kluges, kenntnisreiches Publikum bei einer Flasche Bier den Daumen nach oben oder nach unten hält. Für manche Musiker ist es dort auch das Bitter End. So grausam kann das Leben sein. Für andere ist es aber auch der Weg zu ganz anderen Höhen. Wer hart an sich arbeitet, wer Niederlagen einsteckt und weitermacht, der kann Großes erreichen. Und ein Publikum, das sich seiner Macht bewusst ist, das viel gesehen und gehört hat und sich ein Urteil zutraut, ist ein wichtiger Faktor auf dem Weg nach oben wie nach unten.

Vor vielen Jahren war ich dort für eine gewisse Zeit Stammgast. Ich habe beeindruckende Musikerinnen und Musiker erlebt. Ich habe aber auch ein Publikum erlebt, das sich nie hat etwas vormachen lassen, das immer sah, wo die Stärken und die Schwächen waren, das aber nie abfällig oder arrogant war. Wer nicht weiterspielen sollte, bekam ein Bier ausgegeben und man nahm ihn in den Arm. Und wer überzeugte, hatte den grandiosesten Abend in seinem noch jungen Leben. The Bitter End – ein überwältigendes Konzept. Dort, in Greenwich Village, Manhattan, New York. Und eigentlich auch überall sonst.

4 Gedanken zu „The Bitter End

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