Chaqueteros

Dass Menschen ihre Meinung ändern, dass sie etwas von einer anderen Position aus betrachten und sich aufgrund dessen neu orientieren, sollte zur Normalität des Lebens gehören. Und wenn das so ist, dann ist es auch legitim und vernünftig, sich für die geänderte Sicht neue Bündnispartner zu suchen. Was sollte daran frevelhaft sein? Wenn dieses Schicksal Politikern widerfährt, ist es nicht so einfach. Natürlich haben Politiker wie jedermann sonst auch das Recht, sich grundlegend anders zu positionieren. Das Leben ist keine statische Veranstaltung. Und dass dies ausschließlich aufgrund einer Absage an die eigene und die Suche nach einer anderen Partei so schlecht beleumundet ist, zeugt nicht von einem demokratischen Verständnis. Wenn jetzt, zum Beispiel, Menschen nicht mehr mit den Vorstellungen einverstanden sind, die das Gros der Parteien zum Ukrainekrieg an den Tag legen, bei der Frage von Krieg und Frieden, sollte es doch möglich sein, einen solchen Schritt zu gehen. Dass davon bis heute nur wenige Gebrauch machen, sollte auf keinen Fall als uneingeschränkte Zustimmung aufgefasst werden.

Heikel wird es für Parteien, wenn sie durch den Wechsel Mandate verlieren, die, aus ihrer Sicht, wegen der von der Partei vertretenen Positionen erlangt worden sind, und nicht exklusiv durch die zur Wahl stehende Person. Aber wer will das messen oder beurteilen? Die Gesetzeslage ist hingegen klar und unmissverständlich: gewählte Abgeordnete sind exklusiv ihrem Gewissen verantwortlich. Ein durch die Partei bestimmtes imperatives Mandat existiert nicht.

Vor vielen Jahren hatte ich einen regen Austausch mit einer Spanierin und einem Chilenen. Wir diskutierten sehr oft und viel über Politik und hatten dabei Gelegenheit, eine Menge voneinander zu lernen. Die Spanierin hatte den Franco-Faschismus noch erlebt und der Chilene war durch die Folterkeller Pinochets gegangen und schließlich in einer Odyssee über Argentinien hier in Deutschland gelandet. Zu dieser Zeit gab es übrigens auch eine Diskussion darüber, ob man politische Flüchtlinge, die einem nicht schmeckten, nicht an ihre Heimatländer ausliefern könne. Der Wortführer dieser Position versuchte sich später sogar als Kanzlerkandidat.

Es war keine Überraschung, dass wir uns nicht nur über politische Systeme, über Diktatur und Demokratie, über Asyl und Exil und über die Frage der Gewalt unterhielten. Schließlich hatte der Franco-Faschismus sein endgültiges Ende nicht exklusiv durch das Bekenntnis des Königs zur Demokratie gefunden, sondern das erfolgreiche Attentat der ETA auf den designierten Franco-Nachfolger, den General Carrero Blanco, gefunden. Dass man selbiges nicht in den Geschichtsbüchern findet, steht auf einem anderen Blatt.

Was meine beiden Freunde jedoch gleichsam verabscheuten, war ein Politiker-Typus, der nicht aufgrund innerer Konflikte die Partei wechselte, sondern um sich persönliche Vorteile zu verschaffen. Und im Spanischen gab es dafür einen wunderbaren Begriff. Sie sprachen in diesem Zusammenhang immer von den Chaqueteros, den Jackenmännern. Sie trugen diesen Namen, weil sie, je nach persönlichem und momentanem Vorteil, die Partei wechselten wie das Jacket. Argwöhnisch beobachteten sie die Entwicklung in der noch jungen spanischen Demokratie und sie waren fest davon überzeugt, dass dieser Politiker-Typus eine ebensolche Gefahr für das politische System darstellte wie Figuren wie der damalige Oberstleutnant Tejero, der in Madrid ins Parlament vorgedrungen war und in die Kronleuchter geschossen hatte.

Wenn ich mir die damaligen Diskussionen ins Gedächtnis rufe, dann sehe ich den einen oder anderen Chaquetero, oder auch Chaqueteras, die allerlei Gründe für ihren Wechsel anführen. Von einem Gewissen, das die Entscheidung verursacht habe, ist da allerdings nie die Rede.

2 Gedanken zu „Chaqueteros

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  2. Avatar von hgammahgamma

    Die moralische Tatsache fordert, dem Terror des Kreml, der auf einen Friedhofsfrieden hinausläuft, als Mensch sein absolutes nein entgegen zu setzen. Ohne sich anderwertig, damit im Verbund mit andern, in Wort und Tat, in einem haltlosen Kollektiv zu verstecken.

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