Die Party der journalistischen Libertinage

Obwohl es viele Menschen in die Verzweiflung treibt. Und obwohl es sich anfühlt wie die letzte Entleerung vor dem Gang zum Schafott. Die Libertinage, die der deutsche Journalismus zur Zeit zulässt, kann auch angesehen werden wie ein letztes Bacchanal der freien Formulierung. Voraussetzung zum Gelingen ist das bewusste Vergessen all dessen, was einmal in den Lehrbüchern der Zunft stand. Dass es die Aufgabe ist, sich auf Fakten zu berufen, die nicht einmal oder zweimal, sondern unzählige Male auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden sollen, bevor sie das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Dass es eine Verpflichtung zur Enthaltung von Ansichten und Gefühlen dessen gibt, der sich dazu berufen fühlt, mit einer Meldung die Öffentlichkeit zu suchen. Dass eine Logik zu befolgen ist, die auf den Grundsätzen der Kausalität fußt. Dass Bilder benutzt werden, die nicht nur allgemein verständlich sind, sondern auch die keine bösen Gefühle und Ressentiments wecken. Dass den Konsumenten des eigenen Berichtes zugetraut wird, dass sie in der Lage sind, sich selbst eine Meinung zu bilden. Und vieles mehr. Nachzulesen in den früheren Lehrbüchern eines Journalismus, der in einer aufgeklärten bürgerlichen Gesellschaft idealerweise gepflegt wird.

Das alles ist passé. Da regiert die anzügliche Kolportage, die Emotionalisierung, die Personalisierung, die Feindbilder, der Tratsch und der Klatsch, da tauchen ständige Zeugen auf, die keine sind, da trumpfen Experten auf, die keinen blassen Schimmer haben, da werden kausale Zusammenhänge in ihr Gegenteil verdreht, da wird Stimmung gemacht und diskreditiert, ausgegrenzt, schlecht beleumundet und schlicht gelogen, dass sich die sprichwörtlichen Balken biegen. Da man in einer monopolisierten Blase unter sich ist, glaubt man, das alles machen zu können, ohne jemals dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Chefs wollen das so, die Kollegen zucken mit den Schultern und machen mit und die Auftraggeber verteilen das eine oder andere Zuckerstückchen. 

Und da baden sie nun im Lotterbett der Kolportage, wie Stefan Zweig es einmal in einer ähnlichen historischen Situation so trefflich ausgedrückt hat. Sie fühlen sich sicher und im Recht, das keines ist, sondern nichts anderes als das Hirngespinst von finsteren Mächten, die daran verdienen, dass eine gewisse Systematik an Zerstörung gewahrt wird. An der heißen Fronten des Krieges, im Verschrotten alter Militärtechnik an menschlichen Existenzen, am großartigen Verbrennen von Werten, an den sozialen Sicherungssystemen, an der Infrastruktur, an den Bildungsinstituten, an den Gesundheitseinrichtungen. Die Täterschaft aller, die sich an diesem Feldzug beteiligen, ist längst bekannt, und die Fieberphantasie der Sicherheit wird schneller einer harten Realität weichen, als sich die Lüstlinge des falschen Wortes erträumen können. 

Selbst in der antiken Mythologie gehört es zu den Standards, dass zunächst die Boten gemeuchelt werden, bevor die tatsächlich Bösen dran glauben müssen. Aber das den Klatschpropagandisten erklären zu wollen, ist vergebliche Liebesmüh. Schon beklagen sie den scharfen Wind, der ihnen immer öfter entgegenbläst. Er ist nichts, verglichen mit dem, was sie täglich veranstalten. So lustig die Party der journalistischen Libertinage im Moment noch ist. Ein eisiger Wind wird das Ende dieses Festes ankündigen.  Das ist sicher. Denn im richtigen Leben lässt sich die Kausalität nicht vertreiben.

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