Das fiktive und das tatsächliche kollektive „Wir“

Ich muss gestehen, dass ich mir seit einiger Zeit die Frage stelle, ob ich zu dem kollektiven Wir noch gehöre. Zum Beispiel, wenn es heißt „Wie weit sind wir gekommen?“, oder „Wo kommen wir denn hin?“. Das kollektive Wir und das Bekenntnis, dazuzugehören, ist eigentlich das Minimum einer Gemeinschaft. Allerdings sind viele Erscheinungen, die ich täglich ertragen muss, weil sie medial omnipräsent sind und den Schein erzeugen, sie spiegelten das Wir, dermaßen krass und ekelerregend, dass ich mir die eingangs gestellte Frage stelle. Zu diesem medial erzeugten Wir, das zu Hass aufruft, das strotzt vor Intoleranz, das hier den industriell erzeugten Mord verniedlicht und ihn dort anklagt, das nichts, aber auch gar nichts aus der Geschichte gelernt hat und das sehenden Auges eine ganze Nation ins Verderben zu stürzen bereit ist, mit diesem Wir will ich nicht nur nichts zu tun haben, sondern es ist die Ursache aller Übel, mit denen wir, d.h. diejenigen, die Millionen, die noch über zivile Umgangsformen verfügen, die noch in der Lage sind, sich konträre Meinungen anzuhören, ohne gleich nach dem Scheiterhaufen zu rufen, die noch zwischen einem Rechts- und einem Gesetzesstaat unterscheiden können und die trotz allen Entsetzens nicht auf die Idee kommen, in der Gewalt eine Lösung zu suchen, uns jeden Tag konfrontiert sehen. 

Sie kommen mit allem auf den Jahrmarkt der öffentlich proklamierten Dummheiten, was sie in ihren morbiden Hirnen ausgebrütet haben. Seien es Taschenspielertricks wie dem Ringtausch von Marschflugkörpern, die die Briten versilbern werden wie jede destruktive Hehlerware, über die sie verfügen, bis hin zu der von Faschisten durchsetzten ukrainischen Nomenklatura, die den Papst nun seinerseits als faschistischen Kollaborateur zu denunzieren versucht, weil er gerade sie an eine Verantwortung gegenüber dem eigenen Volk erinnert hat, die sie als Marionetten geopolitischer Strategen aber gar nicht kennen. Für wie dumm, für wie abgehalftert, und, auch das werden sie noch erfahren, für wie wenig bereit zum Widerstand halten diese Hazardeure eigentlich die Bevölkerung? Die Begriffsstutzigkeit ist ihnen eigen. Denn sie können nicht begreifen, dass die Sympathien all denen zuströmen, die die Politik gegenüber Russland für falsch und die israelische Reaktion auf die HAMAS-Attacken für unverhältnismäßig halten. Wer schlau ist, kritisiert das Gejohle des medialen Wir, und schon klingeln die Wählerstimmen in den Urnen. So einfach ist das. Und so wird es weiter gehen.

Die Klugen werden sich neu orientieren und wir, und damit meine ich das tatsächliche, kollektive Wir jenseits des lauten, fiktiven, werden in nächster Zeit erleben, wie so mancher Falke klamm und erbärmlich vom Himmel der Aufmerksamkeit fallen wird. Es ist noch etwas früh, aber wir, die wir täglich unter der medialen Propagandamaschine zu leiden haben, die parteiisch ist, die uns eine Meinung aufdrücken will, die unseren Willen, das selbst machen zu wollen verachtet und die uns alles vorenthalten will, was uns der Wahrheit näher bringen könnte, werden bald erleben, wie der Wind sich drehen wird. Es wird zur Geltung kommen, was der Wahrheit am nächsten ist. Und das beruhigt ungemein. 

8 Gedanken zu „Das fiktive und das tatsächliche kollektive „Wir“

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  2. Avatar von TillsitterTill Sitter

    Sie sprechen mir aus dem Herzen, werter Herr Mersmann. Hoffentlich dreht sich der Wind noch früh genug. Daran habe allerdings ich meine Zweifel.

  3. Avatar von LopadistoryLopadistory

    Wir hatten gerade Wahlen. Das kollektive WIR macht munter weiter. Mir graut. Der ersehnte Wandel kommt wohl nicht vor dem Kollaps …

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  5. Avatar von Gerhard KellerGerhard Keller

    Semantisch hat das WIR sowohl integrative (WIR sind Papst, WIR sind Weltmeister, WIR befinden uns im Krieg mit Russland (Zit.:Baerbock), WIR leben über unsere Verhältnisse, WIR (Deutschland und die Gesellschaft) müssen (mental) kriegsfähig werden andererseits aber auch eine ausgrenzende Bedeutung: Wir und DIE, bzw. WIR und IHR. DIE, das sind immer die anderen, die Bösen, die Arbeitsscheuen, die Armen, die Verlierer, die Lumpenpazifisten, die Klimakleber. Die roten Linie zwischen dem Wir und dem DIE zeigt sich insbesondere bei Fussballfans.

    Der Gipfel problemflankierender Sprachanästhesie war ein SPD-Plakat mit dem nichtssagenden Slogan „Das Wir entscheidet.“

    In der Regel fühle ich mich mit dem vereinnahmenden WIR auch nicht angesprochen.

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