Auch wenn die BILD-Zeitung heute titelt, es gäbe 50 Gründe für Neuwahlen, kommt mir, frei nach Bert Brecht, ein ganz anderer Gedanke: Warum Neuwahlen, wenn es keine parlamentarische Mehrheit für einen Politikwechsel gibt? Einmal abgesehen davon, dass die BILD-Zeitung, im Gegensatz zu vielen anderen Blättern, die die tägliche Nahrung für die gebildeten Schichten liefern, zu den wenigen Zeitungen zählt, die sich immer treu geblieben sind: Fest an der Seite der USA, wie hoch der Preis auch sein mag, revanchistisch gegen Russland als der Siegermacht, die den höchsten Zoll bei der Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes entrichtet hat, immer fest an der Seite Israels, wie auch immer die Politik dieses Staates gemessen war, gegen alle Bestrebungen der ehemals Dritten Welt und des heutigen globalen Südens, sich zu emanzipieren, mit einer großen Sympathie für alle Autokraten, die mit dem Westen kooperierten, immer klar vereint im Kampf gegen die Sozialschmarotzer, die wie selbstverständlich immer am Boden der Gesellschaft lagen und stets offen für alle irgendwie nur verkäuflichen Ressentiments gegen so genannte Minderheiten.
Das Fiasko, mit dem diese Gesellschaft konfrontiert ist, ist nicht die immer noch in alter Blüte dastehende BILD-Zeitung, sondern die nahezu kollektive Migration der restlichen Blätter in die gleiche Richtung. Sehen Sie sich die aufgezählten Themen an und schauen Sie danach in Spiegel, FAZ, Süddeutsche etc., sie alle haben es geschafft, einen freien, ausgewogenen Journalismus in die Tonne zu treten und in das gleiche Horn zu blasen wie das traditionelle Kampfblatt par excellence.
Dass dieses für die politische Meinungsbildung prägend ist, für die eigentlich die Parteien vorgesehen waren, sieht man in der Einheitlichkeit der politischen Eckpunkte. Wer heute auf die Idee käme, für eine europäische Friedensordnung zu plädieren, in der Russland eine Rolle spielt, wer vielleicht sogar genauer wissen wollte, wer von den Verbündeten jüngst die bundesrepublikanische Infrastruktur durch einen Terrorakt zerstört hat, wer sich dazu durchringen würde, die Frage zu stellen, ob die Reaktion des Staates Israel auf die Terroranschläge der Hamas verhältnismäßig ist, wer sich sogar dazu aufschwingen würde, die saturierte Generation der Erben mehr zur Kasse zu bitten und den Steuerflüchtlingen ein neues Maß an Strafe zukommen zu lassen etc. wäre am nächsten Tag vom kollektiven Blätterwald des Pressemonopols gerichtet und als politischer Faktor erledigt.
Insofern dürfen wir uns nicht wundern, dass, was die parlamentarische Befindlichkeit anbelangt, mit einem Politikwechsel nicht zu rechnen ist. Wirkliche, offene, ehrliche Debatten über die Eckpfeiler der Politik werden seit langem nicht mehr geführt. Und die Experten, die von der Meinungsmaschine täglich und bis zum Erbrechen präsentiert werden, kommen aus den Ideologieschmieden der transatlantischen Lobbys. Und selbst das wagt niemand zu thematisieren. Oder haben Sie schon einmal in irgend einem dieser Foren die Frage gehört, wieso dort gerade diese Frau oder dieser Mann sitzt, aus welchem Institut er oder sie kommt und was dafür spricht, sie einzuladen? Da wird, und das hat sich längst bis zu den Ladentheken des täglichen Einkaufsgeschehens herumgesprochen, so manch schmuddeliger Kriegshetzer und Sozialchauvinist in öffentlich-rechtlichen Institutionen zum Experten geadelt.
Auch, wenn es viele vielleicht hoffen und die Enttäuschung sie soweit treiben mag, dass sie sich danach sehnen, diese Politik möge ein Ende finden: Mit der Forderung nach Neuwahlen ist es nicht getan. Die Politik ändert sich nur, wenn sich in der Gesellschaft einiges ändert und wenn das ständige spekulieren aufhört, wer anderes als man selbst es wohl sei, der das Ruder herumreißt!

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Sehr geehrter Herr G. Mersman.
Ich weiss mir keinen, der obenauf oder untendurch, besser ist als ein jedermann, ein anderer.
Gegen die Demokratie gibt es keine Alternative.
Mit freundlichen Grüßen
Hans Gamma