Manche Menschen trifft man, irgendwo umgeben vom Alltag, und sie sind so schnell aus dem Blickfeld, wie sie erschienen. Andere wiederum kommen, und teilen alles mit dir. Eine gewisse Zeit. Und es muss nicht einmal ein übermäßig langer Zeitraum sein. Und wenn sie wieder gehen, dann weißt du, dass sie etwas Bleibendes hinterlassen haben. Das muss nichts Spektakuläres sein. Sie waren einfach da. Sie teilten mit dir die Zeit, sie signalisieren dir, dass das wichtig ist, was ihr zusammen machtet. Und sie zeigten Interesse. Über den konkreten Anlass hinaus. Und als sich dann die Wege trennten, war da weder Wehmut noch Vorwurf. Es war ein kaltes Entgegennehmen des Laufs der Dinge. Man machte kein Aufhebens. Man blieb miteinander verbunden. Auch wenn die Richtung entgegengesetzt war. Auch wenn die Entfernung weit war. Auch wenn es keine Anlässe mehr gab, den Kontakt zu suchen. Man blieb dennoch verbunden.
Derartiges Aufeinandertreffen gibt es nicht oft. Es ist eher eine rare Angelegenheit. Und weil alles so unspektakulär und ohne große Emotion vonstatten geht und weil das Leben immer weiter seinen Lauf nimmt. Mir wurde bei verschiedenen Wendungen meines Lebens klar, dass besonders diese Begegnungen und die daraus resultierenden Bindungen nicht nur ein großes Geschenk sind, sondern auch eine Beständigkeit aufwiesen, die andere, wesentlich intensivere soziale Arrangements nicht hatten. Oft waren sie weitaus weniger stabil. Diese jedoch hielten über Jahrzehnte und Kontinente. Irgendwo, ganz tief im Innern, sind sie vielleicht sogar die Säulen, die dem eigenen Leben eine bestimmte Gewissheit verleihen. Jenseits der sichtbaren Fassade.
Vor kurzem meldete sich bei mir eine ehemalige Kollegin, die zu dieser Gattung gehörte. Sie kam damals in mein Arbeitsfeld, war lebensälter als der Rest, fügte sich ein, half uns mit ihrer Erfahrung und war an allem, was wir ausprobierten, interessiert. Wir machten Fehler und sie lachte, wir scheiterten und sie spendete Trost. Es gab nichts, was wir nicht teilten. Die Arbeit wie die Freizeit. Wir feierten zusammen und fuhren zusammen nach London. Eine Szene, die mir nie wieder aus dem Gedächtnis ging: Sie und ich auf dem Friedhof Highgate, allein, weil der Rest an diesem Tag etwas anderes vorhatte. Später saßen wir in einem Pub, sie trank einen Portwein und schilderte mir, wie groß das Geschenk des Lebens ist.
Unsere Wege trennten sich. Wir wurden in alle Winde verstreut, nur sie blieb. Und der Kontakt zu ihr. Immer lose, unregelmäßig, aber nie lästig oder langweilig. Sie verfolgte unser aller Wege mit großem Interesse und war, auch aus sehr großer Ferne, das Bindeglied zwischen allen.
Vor wenigen Wochen meldete sie sich bei mir. Sie sei über etwas gestolpert, was sie mir noch sagen wollte, ich solle sie doch einmal anrufen, was ich sofort tat. Dabei erzählte sie mir, dass sie erst kürzlich an eine Episode denken musste, die dreißig Jahre zurück lag und von unserer beider Rolle dabei. Damit öffnete sie noch einmal unser gemeinsames Kapitel. Und dann erfuhr ich, dass sie eine schwere Krankheit ereilt hatte, sich aber nun wieder besser fühlte. Und dass sie in zwei Tagen einen runden Geburtstag habe.
Ich rief sie zwei Tage später noch einmal an, um ihr zu gratulieren. Sie erzählte mir, dass ihre Tochter und die Enkel kämen und sie zu einem Lokal essen gehen würden und sie sich sehr freue. Und dass ich sie in nächster Zeit besuchen solle. Auf einen Kaffee. Kurze Zeit später erfuhr ich von ihrem Tod. Sie hat das Regiebuch tiefer Menschlichkeit nie aus der Hand gelegt.

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Schön🙂