Christian Hiller von Gaertringen, Die Neue Weltordnung
Vielleicht beschreibt es dieses Bild am Besten: Am Spieltisch der Welt sitzen immer noch die gleichen Akteure, aber die es hat sich vieles geändert. Manche der Spieler sind alt und ein bisschen vergesslich geworden. Andere sind aus kindlichen Beobachtern zu aktiven Spielern geworden und manche von den ehemals Jungen sind heute die Cracks mit vorzüglichen Karten. Und auch die Fähigkeit, mit gewichtigen Einsätzen im Spiel zu bleiben, hat sich anders verteilt.
Christian Hiller von Gaertringen, seinerseits studierter Ökonom, hat sich den Veränderungen am Spieltisch gewidmet und mit seinem Buch „Die neue Weltordnung. der Aufstieg der Schwellenländer und die Arroganz des Westens“ einen lesenswerten Beitrag geleistet. Sofern man daran interessiert ist, ein Bild von den tatsächlichen Kräfteverhältnissen in der Welt zu erhalten und aus dem Schleier tradierter Illusionen über das eigene Gewicht herauszutreten.
Von Gaertringen zeichnet eine bereits existierende multipolare Welt, die von der Führungsmacht USA und vor allem dem assoziierten Europa nicht wahrgenommen werden will. Die immer noch in dem Glauben an die eigene Überlegenheit verharrende, ehemals entwickelte, westliche Welt, die sich zunehmend mehr im Gestrüpp der eigenen Doppelmoral verheddert, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Da ist das längst mächtige China und da sind die so genannten Schwellenländer wie Brasilien, Russland, Indien, Indonesien, Südafrika, die sich zunehmend in einer Tradition der einstigen Bewegung der Blockfreien sehen, die sich einst in Bandung konstatiert hatte. Sie haben sich, was ihre Wirtschaftskraft anbetrifft, längst zu Mittelmächten entwickelt, die zunehmend auf gemeinsamen Märkten interagieren, von denen der Westen zunehmend und weitgehend ausgeschlossen ist. Sie sind weder durch Werte noch durch Ideologien, sondern hauptsächlich durch ihre jeweiligen Interessen assoziiert.
Die vor allem technologische und wissenschaftliche Stagnation in den etablierten Mächten des Westens und die ungeheure Dynamik, die in den Schwellenländern zu verzeichnen ist, sieht von Gaertringen nicht zu Unrecht in einem Biologismus mit politischer Wucht. Innovationen werden in alternden Gesellschaften zunächst als ein Risiko und eine Gefährdung von Sicherheit gesehen. In jungen, dynamischen Gesellschaften gelten Innovationen in der Regel als Chance, das Land wie die eigenen Verhältnisse zum Besseren zu wenden. Vermögen steht gegen Einkommen, das ist die Formel, unter der die sich verschiedenen wirtschaftlichen Gewichte in der Welt subsumiert werden können. Verwaltung gegen Leistung.
Dass die gegenwärtige Organisation der Welt von der UNO bis hin in die vielen Gremien der internationalen Kooperation den neuen Kräfteverhältnissen längst nicht mehr entsprechen, wird bis dato tendenziell vom Westen geleugnet und wird dazu führen resp. hat bereits dazu geführt, dass die alten Organisationen zunehmend an Reputation und Geltung verlieren und dass sich neue konstituieren, die die tatsächlichen Kräfteverhältnisse widerspiegeln.
Die Option des Westens besteht einzig und allein darin, die Verschiebung der Kräfteverhältnisse anzuerkennen und sich mit den eigenen Interessen neu zu justieren. Ein Pochen auf die Insignien des alten Glanzes wird zu einer weiteren Isolation führen.
Von Gaertringens Buch besticht durch Faktenreichtum wie Sachlichkeit. Es durchleuchtet die Felder von Technologie, Digitalisierung, Infrastruktur, Bildung und den Aspekt internationaler Organisationen. Angesichts des immer lauter werdenden Kampfgeschreis eine wohltuende Lektüre von der ersten bis zur letzten Seite.

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