Weltpolitik ohne Globus

Immer wieder sind Bilder zu finden, die darauf schließen lassen, dass die Erzählung von einer Welt, die ihren Dreh- und Angelpunkt in unseren Koordinaten hat, in Zweifel gezogen werden müssen. Hier, aus unserer Perspektive, sitzen wir nicht nur im Zentrum der Welt, sondern wir dominieren sie auch mit unserer Sichtweise. Doch dann ist da eine Bundesaußenministerin zu sehen, die bei ihrer Ankunft in Indien zwar zwei deutsche Offiziere und einen heranreifenden deutschen Botschaft zur Begrüßung vorfindet, aber keinen indischen Offiziellen. Oder es ist an verschiedenen Stellen eine Sequenz des früheren Bundestagspräsidenten zu sehen, der für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Namibia unterwegs ist und sich dort bei einem Vertreter des afrikanischen Landes über die Chinesen vor Ort beschwert, die anscheinend mehr Gewicht hätten als die Deutschen und dann eine regelrechte Abfuhr wegen dieser Arroganz und Anmaßung erhält. Die klare Botschaft: Don ´t underestimate our intelligence! 

Weitere Hinweise auf eine Unstimmigkeit zwischen der hierzulande publizierten Selbstwahrnehmung und der Beurteilung aus andern Perspektiven kann man erhalten, wenn man sich die Berichterstattung in den großen Tageszeitungen aus Sao Paulo, Santiago de Chile, Jakarta, Kapstadt, Amman, Bagdad, aber auch in Belgrad oder Rom ansieht. Dort bestimmen zumeist Unverständnis, Kopfschütteln und zumeist sogar eine kalte Ablehnung gegenüber dem, was in unserer Sphäre so euphorisch eine wertebasierte, regelorientierte Politik des westlichen Bündnis genannt wird. Selbst bei dem Begriff des Bündnisses herrscht bereits große Verwirrung. Denn die interessengeleitete momentane US-Außenpolitik strahlt in NATO wie EU und wird nicht durch ein einziges unterschiedliches Interesse gebrochen. 

Geht man einige Schritte zurück und betrachtet den Globus als Ganzes, dann wird deutlich, wie verzerrt der westliche Blick auf die Welt tatsächlich ist. Zu erklären ist er einfach: das einstige wirkliche Zentrum, von dem aus mit Kolonialismus und Imperialismus der Rest der Welt nach seinem Vorbild zivilisiert werden sollte, sehnt sich nostalgisch nach der vergangenen Ordnung. Da kam zuerst das Schießpulver, gefolgt von den Priestern und zuletzt die Fabriken und Supermärkte. Dass heute etwas nicht mehr so richtig stimmen kann, bezeugt der Westen dadurch, das er zurückgekehrt ist zum Mittel des Schießpulvers. Man glaubt anscheinend, dass alles wieder gut werde, wenn man zu den Anfängen zurückkehre. Die nackte Gewalt ist wieder en vogue im Westen. 

Bei der Frage, wie es dazu kommen konnte, gehen die Meinungen auseinander. Während die einen sagen, es handele sich um eine typische Dekadenzerscheinung, etablierte Systeme verfielen nun einmal für gewisse Zeiten in den Müßiggang und verschliefen das Gebot der Innovation, die jedes System attraktiv mache, behaupten andere, es läge schlicht an einem Mangel an Bildung. Wer die Geschichte nicht kenne, der fasele ein so törichtes Zeug wie die heutigen Politiker, die nicht einmal die eigene, europäische Kolonialgeschichte und die imperialistischen Kriege kennten und sich deshalb keine Vorstellung machen könnten, wie es wohl im kollektiven Gedächtnis derer aussähe, die das alles am eigenen Leib erfahren hätten und heute 90 Prozent der Erdpopulation ausmachten. Das Deprimierende scheint zu sein, dass beides stimmt: satt, dumm und aggressiv. Und das Schlimme: schaut man aus der Perspektive des Rests der Welt, dann wird das da auch so gesehen.

Die Autobiographie des längst vergessenen Journalisten Karl O. Paetel, seinerseits Nationalbolschewist und der damals lebende Beweis für die Grauzonen in der Politik, gab seiner Autobiographie, in der er seine Flucht vor den herrschenden Nationalsozialisten und die Stationen seines Exils beschrieb, den Titel „Reise hohen Uhrzeit“. Angelehnt an diese geistreiche Vorstellung träfe die Beschreibung der gegenwärtigen Außenpolitik mit „Weltpolitik ohne Globus“ wohl am besten.   

2 Gedanken zu „Weltpolitik ohne Globus

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  2. Avatar von nerguinergüi

    Offensichtlich wird in gewissen höheren Kreisen nicht nur Orwells ‚1984‘ als Gebrauchsanleitung fehlinterpretiert, sondern ebenso Paul Watzlawicks ‚Anleitung zum Unglücklichsein‘ wörtlich genommen:

    „Der verlorene Schlüssel

    Unter einer Straßenlaterne steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt daher, fragt ihn, was er verloren habe, und der Mann antwortet: “Meinen Schlüssel.“

    Nun suchen beide. Schließlich will der Polizist wissen, ob der Mann sicher ist, den Schlüssel gerade hier verloren zu haben, und jener antwortet: “Nein, nicht hier, sondern dort hinten — aber dort ist es viel zu finster.““

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