Simon Scarrow. The Generals (The Wellington and Napoleon Quartet 1795 – 1803)
Auf die Möglichkeit, sich historischen Themen durchaus über das Genre historischer Romane nähern zu können, wenn man die Autoren einer gründlichen Inspektion unterzieht, sei ausdrücklich noch einmal hingewiesen. Simon Scarrow, seinerseits gelernter Historiker, hat zumindest mit seinem ersten Roman seiner Napoleon-Wellington-Tetralogie bereits bewiesen, dass er ein scharfes Auge bezüglich der historischen Ereignisse hat, sich sehr gewissenhaft den Fakten widmet und dennoch den Korridor zu einer psychologischen wie soziologischen Deutung zu öffnen in der Lage ist. Hatte er in dem ersten Band, Young Bloods (im Deutschen: Schlacht und Blut) die geographisch und kulturell unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen des jungen Briten wie des Korsen dargestellt, so gelang es ihm dennoch, auch die Analogien herauszuarbeiten. Bei beiden handelte es sich um Underdogs, die aufgrund ihres Ehrgeizes und ihrer Talente nicht gewillt waren, in gesellschaftlichem Mittelmaß, das es zudem gar nicht gab, zu versinken.
Im zweiten Band, The Generals (deutsch: Ketten und Macht), und ich erspare mir hinsichtlich auch dieser Übersetzung die signifikanten Indizien für den deutschen Sonderweg, beobachtet Scarrow die frühe Phase der jeweiligen Karriere aus der Perspektive tatsächlich erbrachter Leistungen. Die Vorzeichen für ein Avancement Napoleons stehen besser als bei dem Briten, weil die Instabilität der neuen Republik Frankreich, die inneren Machtkämpfe wie die äußeren Bedrohungen durch das nahezu vereinte monarchistische Europa genau das erfordern, was mangels tatsächlicher, faktischer Macht vonnöten ist, um bestehen zu können: den charismatischen Führer, der in der Lage ist, Risiken einzugehen und Menschen zu Unmöglichem zu motivieren. Dieses gelang Napoleon sowohl in Italien als auch, bis zu einem gewissen Grad, in Ägypten und abermals gegen Österreich im Norden Italiens, und endete, nachdem er seine politischen Ambitionen nicht mehr kaschierte, mit der Ernennung zum Ersten Konsul der Republik auf Lebenszeit.
Wellington, der immer noch als Wellesly figuriert, muss hingegen den Weg in die britischen Kolonien in Indien antreten, um dort erst einmal die militärisch-logistische Basis für eine tatsächliche Herrschaft zu legen. Dieses macht er mit Disziplin und Aufopferungsgabe, ohne zunächst das militärische Upgrade zu erhalten, er bezwingt lokale Rebellen und oppositionelle Monarchen, und schafft so für Großbritannien und seine wie alle kolonialen Handelsorganisationen korrupte India Company die Bedingungen uneingeschränkter Dominanz.
Und auch das ist, neben dem unterschiedlichen Verlauf der jeweiligen Karrieren – der gewissenhafte Arbeiter hier, der charismatische Führer dort – eine nicht zu unterschätzende Botschaft aus der Historie auch für unsere Tage, wenn sich Imperien bekriegen, dann ist das ein komplexer Prozess, der sich um den ganzen Erdball zieht. In diesem Fall von Nordamerika bis Indien, es geht um Handelswege und Ressourcen und es geht um die jeweilige Dominanz bei Herrschaft auf See und zu Lande.
Die bis dato vielleicht noch isoliert zu betrachtenden und zu unterscheidenden Karrieren werden mit dem zweiten Band der Tetralogie, The Generals, also der Etablierung beider als ernst zu nehmende Faktoren im Machgefüge der jeweiligen Nation, das ist zu Ende des zweiten Buches klar, im Konkurrenzkampf zwischen England und Frankreich, notwendigerweise aufeinander zusteuern. System gegen Herz, ein spannender Showdown, dessen Ausgang bekannt ist, der allerdings auch in der späteren Geschichte immer wieder von Neuem stattfand. Und genau darin liegt der Gewinn der Lektüre. Auch wenn sie mit dem zweiten Band noch nicht zu Ende ist.
- ASIN : B002TXZRK4
- Herausgeber : Review; UK ed. Edition (4. September 2008)
- Sprache : Englisch
- Dateigröße : 2457 KB
- Text-to-Speech (Vorlesemodus) : Aktiviert
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- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 644 Seiten

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