Sultan Süleyman, die Demut und der aktuelle Größenwahn

Sultan Süleyman der Prächtige (1495 – 1566), unter dessen Regentschaft das Osmanische Reich im Zenit stand und das vom Maghreb bis zum Iran und von der Donau zum Nil reichte, nahm, wissend, dass es sein Ende sein würde, noch an einem Feldzug gegen Ungarn teil, weil er sich vorgenommen hatte, als Soldat im Kampf zu sterben. In seinem Testament hielt er die Modalitäten seiner Beisetzung fest, die seinem Willen entsprechend angewandt wurden. Demnach mussten seine Ärzte den Sarg tragen, hinter dem Trauerzug sollte das ganze angehäufte Gold zurückbleiben und auf dem Weg, den seine sterblichen Überreste passierten, sollten seine nackten Hände aus dem Sarg heraushängen. Süleyman erläuterte: Auch die besten Ärzte sind vor dem Tod machtlos, alles, was wir erlangten, hinterlassen wir auf dieser Welt und selbst der größte Herrscher steigt hinab ins Grab mit leeren Händen.

Wer in den Annalen blättert, wird lesen können, dass die 46jährige Herrschaft dieses Sultans begleitet wurde von Kriegen und der konsequenten Anwendung von Macht. Imperien entstehen nicht von selbst, und ohne Gewalt bleiben sie auch nicht bestehen. Was dennoch beeindruckt, ist die Weisheit, mit der er sein Leben beschloss. Es mutet an wie eine Geschichte aus einer anderen Welt, was sie tatsächlich auch ist. 

Denn die Reflexion über das eigen Handeln und Wirken ist zu einer eher esoterischen Kategorie verkommen, in der nur noch irgendwelche Mystiker oder Misanthropen vorkommen. Was zählt, so die Souffleure der aktuellen Epoche, sind harte Fakten und vor allem Tempo. Und Tempo ist die Macht, die vieles in der Lage ist zu unterdrücken. In nahezu jeder Frage kommt, wenn jemand auf die Idee kommt, nach den Ursachen zu suchen, der alles schlagende Einwand, für diese Überlegung sei jetzt keine Zeit und das hülfe uns jetzt auch nicht weiter. Das, um den aktuellen Bezug herzustellen, ist das wichtigste wie nichtigste Argument, wenn es um eine Bewertung der politischen Maßnahmen gegen Corona wie um die Bewertung des Ukraine-Krieges geht. Bloß nicht nach den historischen Ursachen suchen, nur nicht die Perspektive wechseln und vor allem nicht darüber zu reflektieren, wohin die eigenen Wege führen mögen und wo die Grenzen unserer Handlungsfähigkeiten liegen.

Das Tempo, dieser schicke Flitzer, versperrt oft den Weg zu einer tieferen Erkenntnis. Und bemüht wird diese Form der Argumentation, deren Selbstreflexion nicht weit reicht, in jeder erdenklichen Situation. Eine Dimension, die der technokratisch geprägte Karrierismus den Akteuren in den modernen Staatswesen geraubt hat, sind Zweifel und Demut. Bei beidem handelt es sich um überaus wertvolle Eigenschaften, die davor bewahren, blind von einer weltlichen Verheerung in die nächste zu stürzen. Wer eine realistische Vorstellung von den eigenen Wirkungsmöglichkeiten im Rahmen seiner tatsächlichen Lebenserwartung hat, ist vor Größenwahn gefeit. Und wem es gelingt, an den eigenen, präferierten Optionen zu zweifeln, der betrachtet das Ganze auch aus einer anderen Perspektive und lernt dazu.

Klopft man beide Aspekte auf die aktuellen Handlungsvorschläge ab, dann wird sehr schnell deutlich, dass weder Demut noch Zweifel im Spiel sind. Es dominieren Notstandszenarien, die keine weitere Reflexion zulassen sollen, in jeder noch so kleinen operativen Frage wird die Keule der Alternativlosigkeit geschwungen und niemand von den vermeintlich Mächtigen käme jemals auf die Idee, die Möglichkeit eigener Fehler einzuräumen und von der eigenen historischen Begrenztheit zu sprechen. Deshalb fasziniert die Geschichte des Sultans Süleymans bis heute.

2 Gedanken zu „Sultan Süleyman, die Demut und der aktuelle Größenwahn

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  2. Avatar von alphachamberalphachamber

    Hallo!
    Wir sehen das „Tempo“ hier weniger im Spiel. Im Gegenteil, die konsequente Ausfuehrung einer langen Vorbereitung (oeffentlich, und unter aller Nasen). Was aber den (meisten)nheutigen Nationen abgeht, ist genaue und wissende Beobachtung und Einschaetzung der Ereignisse.
    Es scheint fuer unsere Zukunft – so chaotisch und unstabil sie erscheinen mag – ist die Form schon gegossen.
    MFG

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