Geschichte so darzustellen, dass sie erlebbar wird und die Möglichkeit bietet, Rückschlüsse auf das Hier und Jetzt zu ziehen, ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Generationen von Historiographen sind an diesem Anspruch gescheitert, weil sie sich darauf verließen, dass die Aufzählung von Fakten genügten. Der belgische Autor David van Reybrouck hat sich ein Kapitel vorgenommen, das zunächst tatsächlich als eine tragische Geschichte der Vergangenheit erscheint, reduziert man sie auf die reine Faktenlage. In seinem Buch „Kongo. Eine Geschichte“, das 2012 zum ersten Mal erschienen ist, hat er die Kolonisierung des Gebietes in Zentralafrika, das den meisten europäischen Leserinnen und Lesern als eine Region mit jeder Menge strategischen Rohstoffen erscheint, in seiner vielfältigen Dimension erfasst. Die Tragik ist geblieben, auch nach der Unabhängigkeit. Der Reichtum verlässt das Land nach wie vor und hinterlässt wie in den Zeiten der belgischen Kolonie eine demoralisierte wie verarmte Bevölkerung, die um ihre soziale Sicherung wie um eine befreiende Identität ringt.
Obwohl sie alle ihren Platz haben, die belgischen Könige wie die Lumumbas, Mobutus und Kabilas, – übrigens neben der Ausbreitung seriös recherchierter Fakten -, kommen auch die zu Wort, die normalerweise nicht gefragt werden. Über Jahre hat van Reybrouck Interviews geführt mit Repräsentanten der vielen Ethnien, mit einfachen Straßenhändlern, mit Fußballern, mit Musikern, mit Underdogs, mit Kriminellen und mit Menschen, die ihr Heil in der Spiritualität gesucht haben. Dem Autor ist es gelungen, die Wirkung historischer Ereignisse auf die konkreten Lebensverhältnisse zum Leben zu bringen und er hat damit ein Werk geschaffen, das seinesgleichen sucht. Und es wird deutlich, wie sehr das Schicksal des Kongo mit der Geschichte der Globalisierung verwoben ist.
Immer, wenn sich die Welt in Kriegen befand, spielte der Kongo aufgrund der strategischen Rohstoffe eine wichtige Rolle: Gold, Diamanten, Kobalt, Kupfer, Uran. Damit kann man Kriege führen und wer einmal das Privileg hatte, im belgischen Antwerpen mit dem Zug anzukommen und den Bahnhof zu sehen, der kann sich ein Bild davon machen, in welcher Valuta die Ausplünderung des Kongo entgolten wurde. Doch die Befreiung des Landes aus dem belgischen Kolonialjoch wurde konterkariert durch korrupte Eliten, denen ein Leben in neureichem Luxus wichtiger war als eine nachhaltige Entwicklung des Landes.
Bis zum Völkermord ging die Geschichte des befreiten Landes und es gibt einen Vorgeschmack auf das Schicksal eines überbevölkerten Planeten, wo es um Land und Wasser geht und extremes Klima eine vitale Rolle spielt. Einen Staat, der mittels einer an nationalen Interessen orientierten Politik das Land entwickelt, hat es nie gegeben. Alles, was existiert, ist eine schwache Administration und ein bis in den letzten Winkel privatisiertes Land und eine von den mächtigen, multinationalen Konzernen gesteuerte Vermarktung aller Lebensbereiche. Van Reybrouck fasst es in dem Satz zusammen, dass die Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln sei. Heute im Kongo, und, das sollte zum Nachdenken drängen, auch in einer vom Wirtschaftsliberalismus dominierten Globalisierung.
Was als eine Geschichte des Kongos angelegt und gelungen ist, hat sich auch zu einer Prognose entwickelt, indem van Reybrouck die Veränderungen der Aktionsradien nachgezeichnet, die die kluge, an den eigenen Interessen orientierten Politik Chinas in Afrika nachzeichnet. Da treten in China operierende und Chinesisch sprechende Kongolesinnen und Kongolesen auf, denen es gelungen ist, im Ramschkapitalismus ihr eigenes Fell zu retten, ohne dass das Land davon profitierte. Das Buch ist auch deshalb lesenswert, weil es zeigt, wie sehr Europa einem Weltbild verhaftet ist, das längst zur Vergangenheit gehört.

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