Leo Tolstoi: Die Welt liegt im Detail

Rasant geht es zu. Die Welt, so wie sie für lange Zeit als gesetzt gegolten hatte, ist mächtig in Bewegung geraten. Das macht etwas mit den Menschen. Zum einen ist die Angst wieder da, die immer dann Hochkonjunktur hat, wenn sich existenzielle Veränderungen abzeichnen. Denn das Bekannte, soviel ist sicher, wird sich so nicht mehr halten können. Zum anderen machen sich viele Menschen Gedanken darüber, wie die Zukunft wohl aussehen könnte. Von Hoffnung sind auch diese Überlegungen nicht gekennzeichnet. Da überwiegt eine Polarisierung. Entweder, so das gängige Diktum, es ändert sich vieles radikal und sorgt für Verbesserung, oder die Grundstrukturen bleiben so, wie sie sind, und es erwartet uns ein Inferno. Da ist guter Rat teuer. Und, die Frage stellen sich immer mehr Menschen, was macht das eigentlich mit mir? Oder, anders ausgedrückt, um nicht in die Position des passiven Objektes zu verfallen oder darin zu verharren, was muss und kann der Einzelne, kann ich tun, um einen positiven Beitrag zu einer gewünschten Veränderung zu leisten?

In diesem Kontext kann eine kluge Beobachtung Leo Tolstois einen Hinweis geben. Er stellte fest, dass alle die Welt verändern möchten, aber keiner sich selbst. Es scheint keine resignative Ablenkung zu sein, die darin begründet liegt, dass der Einfluss auf das große Ganze sowieso nicht gegeben ist, und tatsächliche Veränderungen nur im Kleinen möglich sind. Diese Sichtweise verstellt die Sicht auf einen Zusammenhang, der essenziell ist. Es handelt sich um den Konnex von dem eigenen profanen Alltag und dem großen Weltzusammenhang, oder, um es deutlicher zu sagen, um das Zusammenwirken von Mikro- und Makrokosmos. Oder, um noch einmal auf Tolstoi zurückzukommen, die Welt liegt im Detail.

Gerade in diesen Zeiten kommt oft der Hinweis, der von vielen Menschen geteilt wird, der das Konsumverhalten fokussiert. Dass die Konsumenten von Gütern einen Beitrag leisten können, wenn sie sich gegen einen Kauf entscheiden können, wenn Güter unter katastrophalen Arbeitsbedingungen und mit umweltschädlichen Methoden hergestellt wurden oder über irrsinnige Transportwege herangeschafft werden. Das Argument ist nicht von der Hand zu weisen, wiewohl es das Problem nicht löst. Denn zu der eigenen Veränderung gehört mehr als der Kauf von Waren.

Das Individuum auf seine Konsumentenrolle zu reduzieren führt einerseits zu seiner Beschränkung als passives, reproduktives Wesen und es leugnet seine Verantwortung als sozial handelndes Subjekt. Letzteres wird entscheidend sein in der Auflösung der grausamen Verhältnisse, wie sie seit Jahrzehnten produziert werden. Der Beginn der eigenen Veränderung liegt in der Frage der sozialen Verortung wie der eignen Verantwortung begründet. Wo stehe ich sozial, wohin will ich und, entscheidend, mit wem ist das möglich?

Die eigene Verantwortung und die Arbeit an der eigenen Veränderung beginnt mit dem Entwurf und der aktiven Pflege sozialer Verhältnisse, die in der Lage sind, eine funktionierende, fähige, den Bedürfnissen der Menschen entsprechende Gemeinschaft zu etablieren. Die Veränderung des Individuums zum Besseren liegt nicht nur auf dem Feld des eigenen Konsumverhaltens, sondern im Aufbau sozialer Beziehungen, die eine Grundlage für gesellschaftliches Handeln bilden können. Nach Jahrzehnten der individualistischen Verheerung ist das eine sehr persönliche, konkrete Aufgabe. Ja, und das beginnt im Kleinen: Im eigenen Haus, in der eignen Straße, am Arbeitsplatz und in der kulturellen Interaktion. Auf jeden kommt es an. Wer das leugnet, landet unweigerlich in der Ohnmachtsphantasie. Wer die Welt verändern will, fängt morgens bei sich selber an.

2 Gedanken zu „Leo Tolstoi: Die Welt liegt im Detail

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  2. Avatar von LPLP

    Ja! Ja! Und nochmal Ja!
    Du hast es auf den Punkt gebracht. Veränderungen können nicht passieren, wenn niemand bereit ist, daran mitzutun und es gar noch zuerst von allen anderen zu erwarten.

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