Ernst Bloch, an einem Sommermorgen

Mein Gott, so würde man wohl heute sagen, wie viele Jahre hat er sich abgemüht, um alleine aufzulisten, welche Arten von Hoffnungsgebäuden den Weg der Menschheit gesäumt haben? Und dann hatte er noch nicht einmal damit angefangen, das alles zu bewerten und dem selbst etwas entgegenzusetzen, was er erwiesenermaßen vorhatte. Nein, dieser Bloch muss ein Triebtäter gewesen sein. All die Recherchen und Forschungen, unter den schwierigen Bedingungen des Exils, in einer Rattenkammer in New York und dann, hinterher, er hatte sich ja für die Fakultät der Guten Hoffnung in Leipzig entschieden. Da war das auch kein Zuckerschlecken, bis er rüber gemacht hat und mit seiner Philosophie im schwäbischen Tübingen strandete. Mein Gott, wie verrückt muss der Mann gewesen sein?

Ernst Bloch unterschied von der heutigen Betrachtungsweise tatsächlich einiges: Er sah sich in der Verantwortung, mit den Studien zur Philosophie zu etwas anderem zu kommen, als die Großmachtphantasien des Nationalsozialismus es ausgerufen und dann ausgeführt hatte. Er wusste, dass die Gesellschaften vor der aktuellen sich auch immer dadurch ausgezeichnet hatten, dass sie einem Zukunftsentwurf anhingen, den es zu verfolgen galt. Das Ausrufen des 1000jährigen Reiches und die Aktivierung seiner Folterkammern hatten die Utopien seiner Zeit zumindest in seiner Heimat liquidiert. Also ging er ins Exil, führte Buch über die Zukunftsprogramme der Menschheit und kam schließlich, als die Trümmer des vermeintlich ewigen Reiches bereits nur noch als Ruinen glimmten, zu seinen Schlüssen. 

Ernst Bloch wurde zum Visionär, indem er versuchte, die Visionen von Zukunft vom Kopf auf die Füße zu stellen. Um mit dem ihm alles andere als fremden Marx zu reden, betrachtete er den Doppelcharakter einer jeden Zukunftsvision, ihren sedierenden wie ihren protestativen Charakter. Letzterer bleib sein Elixier. Was bargen die bisherigen Utopien an Potenzial, um das gesellschaftliche wie das individuelle Sein zu verbessern? Und was fehlte, wo war ein wichtiger Schlüssel, der der Utopie das ewige Stigma der Droge nahm? Bloch wurde fündig in ihrer DNA. Dass für einen kurzen Moment die konkrete Vision ganz zu Anfang steht, aber eben als Vision, nicht als Faktum.

Es wurde nach der heutigen Sicht gefragt, die frei zu sein scheint von Utopien, die eine große Attraktivität ausstrahlen. Das ist, um eine Analogie zu Blochs Lebenszeit zu ziehen, ein äußerst schlechtes Zeichen. Dort herrschte, abgesehen von Sektenexistenzen, zunächst der große Nihilismus und dann kamen der Rassismus und die Großmachtideologie. Besehen wir uns die gegenwärtigen Tendenzen in unseren, d.h. den westlichen Gesellschaften und vor allem der in Deutschland, dann ist, neben den sektenähnlichen Tendenzen, wieder der große Nihilismus unterwegs und die ersten kräftigen Triebe einer wiedererstarkten Großmachtideologie. Nur heute stützt sie sich nicht auf Rassebefunde, sondern auf ethisch-moralische Überlegenheit. 

Ein Indiz für die Gefährlichkeit der Lage ist die Tatsache, dass jeder Versuch, über die Zukunft zu streiten, mit der Verdächtigung der Unzurechnungsfähigkeit zunichte gemacht wird. Wer über die Zukunft und eine Hoffnung räsoniert, der hat nicht alle beisammen.

Visionäre mit analytischem Verstand und einer fundierten Bildung, wie Ernst Bloch einer war, finden sich nicht im Brei der schnellen Vergänglichkeit. Daher ist es wichtig, seine Werke noch einmal zu lesen und zum Thema zu machen. Heißt es nicht, die Hoffnung stürbe zuletzt?

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