Alessandro Baricco. The Game. Topographie unserer digitalen Welt.
Digitalisierung – das Wort, das bei manchen ungeahnte Euphorie, bei anderen wiederum beängstigende Schwindelgefühle auslöst, in einer Weise zu erklären, dass es Verständnis erzeugt und beruhigt, ist bis dato wenigen gelungen. Genau genommen, kenne ich nur einen. Und zwar den Autor Alessandro Baricco. Er hat sich bereits vor einigen Jahren mit dem Thema auseinandergesetzt, damals unter dem Titel die „Mutation der Kultur“. Da hatte er wunderbar nachvollziehbar den Paradigmenwechsel von der erklärenden Tiefe hin zum Surfen auf der vernetzten Oberfläche erklärt, an Beispielen wie dem Fußball, der Musik und der Frikadelle. Einfach genial.
Mit dem aktuellen Buch „The Game. Die Topographie unserer digitalen Welt“ unternimmt er den größenwahnsinnigen Versuch, eine Landkarte zu zeichnen von den ersten Regungen in den 1980iger Jahren bis hin zur Präsentation des iPhones durch Steve Jobs 2007, was er als Abschluss der technischen Entwicklung dessen bezeichnet, was er die digitale Rebellion nennt. Der Prozess danach ist die Kolonisierung der gesamten Welt mit den Denkansätzen und Tools der digitalen Rebellion und den sich daraus ableitenden Fragen in kultureller Hinsicht.
Das Erstaunliche ist, dass Baricco den Prozess einfach und nachvollziehbar schildert und tatsächlich Karten zeichnet, die Laien und sogar geistig und künstlerisch Tätige verstehen können. Darin beschreibt Baricco den Ursprung der digitalen Rebellion als eine Auflehnung gegen das 20. Jahrhundert mit seinen unbeschreiblichen Katastrophen. Es war ein Aufstand gegen die Väter, von Kindern, die keine Ideologie mehr wollten und mehrheitlich aus der Friedensbewegung um San Francisco kamen. Das Spiel war der Ausgangspunkt und das Spiel stellt das Wesen dieser Denkweise dar, die immer nach Punkten und Belohnungen für das zu Lernende arbeitet. Sie wollten Fun und keinen Krieg, sie lehnten Ideologie ab und befassten sich nur mit Lösungen für Probleme der Tools, mit denen sie arbeiteten. Sie gingen immer den direkten Weg, umgingen die Vermittler und zerstörten jede Art von Priesterkaste.
Einer der Urväter der Bewegung aus den Hippie-Sphären der amerikanischen Westküste wird mehrmals zitiert. „Wenn du die Menschen verändern willst – vergiss es. Verändere die Werkzeuge, mit denen sie arbeiten, und du veränderst alles.“ Diese Maxime erklärt das Wesen der digitalen Rebellion am besten.
Baricco, dem eine gewisse Euphorie nicht abzusprechen ist, obwohl er einer Generation entstammt, die mitten im 20. Jahrhundert sozialisiert wurde und der als Schriftsteller nicht der technologisch fokussierten Ingenieurskaste angehört, bringt mit seinem Buch den Vorteil mit, beide Seiten zu kennen. Die der Rebellen, die er sich mühsam erarbeiten musste, und die der Skeptiker, zu denen er aufgrund seines Alters nahezu automatisch gehört.
Ja, nach allem Verständnis für die digitale Rebellion und nach allem Verständnis für das, was sie im Positiven geschaffen hat, widmet er sich auch den Problemen, die sich daraus ergeben haben. Wie jede Rebellion, so hat auch diese nicht nur die alten Eliten zerstört, sondern auch eine neue geschaffen, die jetzt zum Teil das Spiel der Alten spielt. Auch nach der digitalen Rebellion gibt es Verlierer, obwohl sie mit der Demokratisierung des Zugangs zu Informationen das Gegenteil teilweise schaffte. Es liegt jetzt nicht mehr am Geld, sondern an den Skills, dass Menschen auf der Strecke bleiben und sich ausgeschlossen fühlen. Aus der mangelnden Tiefe erklärt er die Reservoirs des Populismus etc. etc. Und dennoch: der Prozess insgesamt ist irreversibel!
Entscheidende Schlussfolgerung Bariccos ist es, dass die Probleme, die aufgetreten sind nach der Kolonisierung der Welt durch die digitale Technisierung, nur gelöst werden können durch diejenigen, die sie betrieben haben. Das ist nicht nur schlüssig, sondern sollte auch zur Entspannung derer führen, die dem 20. Jahrhundert entstammen.

Mach neugierig
Ups ein digitales t vergessen
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