Der Europaabgeordnete Sonnenborn von Die Partei, seinerseits bekannt für manch lakonischen Kommentar, brachte es auf den Punkt: wenn man mit fünf Prozent der Stimmen Bundeskanzler werden kann, so sagte er, dann wechsle ich sofort nach Berlin! Ja, so einfach kann es sein. Bei allen hitzigen Diskussionen über das Debakel in Thüringen, in denen immer wieder auch Stimmen laut wurden, es handele sich dabei um ein typisches Phänomen der Demokratie, dass es wechselnde parlamentarische Mehrheiten nun einmal gebe, ob einem das schmecke, oder nicht, ist eine Tradition, die zum Selbstverständnis der formalen Demokratie gehört, kalkuliert unter den Tisch gefallen. Es handelt sich um das Recht der am stärksten vertretenden Fraktion, auch das höchste Amt zu besetzen.
Ein Blick sowohl auf den Bundestag als auch auf die Landesparlamente zeigt, dass dieses bis zu dem denkwürdigen Tag in Thüringen bis heute überall galt. Der Wille, den amtierenden Ministerpräsidenten Ramelow zu verhindern, hat mit dieser Tradition zumindest in den Köpfen der Komplotteure bei FDP, CDU und AFD Schluss gemacht. Das ist der eigentliche Dammbruch. Es wird mit dem Argument der Wechselhaftigkeit demokratischer Entscheidungen endgültig auf das Wählervotum geschissen. Stärkste Partei bei den Wahlen in Thüringen war die Linke, demnach haben sich die meisten der Wählerinnen und Wähler für eine Fortsetzung einer Regierung unter Ramelows Führung entschieden.
Hätte Ramelow in den vergangenen vier Jahren eine Politik verfolgt, mit der er nun von den Putschisten identifiziert wird, wäre das Ergebnis sicherlich ein anderes gewesen. Ihn als einen Vertreter der alten SED-Herrschaft zu klassifizieren, ist ein Manöver, das durch keinerlei Beleg untermauert werden kann. Und eine weitere argumentative Inkonsistenz hat sich hinzugesellt. Das alte, abgedroschene Mantra von den extremen Rändern, das den Faschismus und Sozialismus gleichsetzt, wäre nur dann Grundlage der gegenwärtigen Situation gewesen, wenn die Ablösung Ramelows ohne die Stimmen des rechten Randes zustande gekommen wäre. Ist sie aber nicht. Die selbst ernannten Demokraten, die sich vor keiner Koterei fürchten, haben mit dem rechten Rand paktiert, um den so genannten linken Rand zu verhindern. Beschämend einfältig, doch folgerichtig und schlüssig.
Ja, manchmal ist es wichtig, sich in den Annalen noch einmal zu vergewissern. Max Reimann, sicherlich eine schillernde Figur und letzter Vertreter der KPD vor ihrem Verbot im Jahr 1956 war es, der bei der parlamentarischen Erörterung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland den prophetischen Satz von sich gab, seine Partei sei gegen das Grundgesetz, übrigens weil ihr die Klärung der Eigentumsverhältnisse und deren gesellschaftlicher Verpflichtung nicht weit genug ging, aber seine Partei werde diejenige sein, die es irgendwann am vehementesten verteidigen müsse. Und so, wie es aussieht, ist die Notwendigkeit, das Mehrheitsprinzip, das durch das Votum des Souveräns bis heute galt, gegen diejenigen zu verteidigen, die sich bis dato mit dieser Verfassung brüsteten und nun in einem Rausch der Machtbesessenheit davon Abstand nehmen.
Die Erfurter Vorfälle sind ein leuchtendes Signal für die Verhältnisse, die sich in bestimmten Parteien mittlerweile etabliert haben. Und wie sie es rezipieren, zeigt, dass sie an ihrem Kurs festhalten wollen. Die Bürgerproteste, die sich an den Eklat im Landtag anschlossen, als Aufmarsch von Sturmtruppen des linken Totalitarismus darzustellen, deutet auf eine sich zum Chronischen gesteigerten Gemütslage hin. Wenn sie von Sturmtruppen reden, erzählen sie von sich selbst. Ein Phänomen, das nicht selten ist. Ist zu hoffen, dass der Souverän noch einmal zu Wort kommt. Und, bitte, nichts vergessen!

Die stärkste Partei stellt den Kandidaten, das ist doch ein alter Zopf. Und dass das immer so war, stelle ich mal in Frage (BTW 1969).
Aktuell ist die AfD noch nicht verboten, warum auch immer. Dann sollte man auch professionell mit der Situation umgehen und nicht immer weiter Öl ins Feuer kippen. Das hat doch alles ein ‚Gschmäckle‘. „Wir“ rühmen uns, am besten mit unserer Vergangenheit umgehen zu können. Aber da ist nur heiße Luft und leere Worte und führt immer weiter ins Drama.
Das alles ist ein einziges Armutszeugnis und es bestätigt meine Erfahrungen aus dem beruflichen Alltag, welche im Übrigen recht wenig mit Politik zu tun haben. Sobald es Probleme gibt, gibt es auch Analysen. Mehr als Lösungen. Eine Lösung ergibt sich meist nur aus individueller Kraft und Antrieb eines Einzelnen. Wie im Fußball. Das aber ist heutzutage ein Risiko. Schlüsselwort ‚Verantwortung‘.
Zum Abschluss meine ‚Lieblingsmeldung‘ von heute:
„Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte, ist sein Amt los. Kanzlerin Merkel habe ihm in einem Gespräch mitgeteilt, dass er sein Amt nicht mehr ausüben könne. „Ihrer Anregung folgend, habe ich daher um meine Entlassung gebeten“, teilte Hirte am Samstag bei Twitter mit.“
(Quelle: heute.de vom 08.02.2020)
Gruß.
Gibt es eine oder einen Ministerpräsidenten in der Republik, deren oder dessen Partei nicht die parlamentarische Mehrheit hat?
Aber Herr Mersmann, Sie enttäuschen mich. Natürlich muss ich Ihre Frage mit ‚Nein‘ beantworten, was jedoch nicht gleichbedeutend damit ist, dass ich falsch liege.
Ihr Text schlägt doch die Brücke von Sonneborns möglicher Kanzlerschaft zur fehlenden parlamentarischen Mehrheit eines möglichen Ministerpräsidenten. Deshalb halte ich meinen Hinweis weiterhin dem Grunde nach legitim.
Ihre Auffassung – in dieser Sache – widerspricht den Möglichkeiten, die ein Wahlergebnis mit sich bringt, wird gar nahezu als ‚nicht erlaubt‘ formuliert. Ist es aber nicht. Wir können doch nicht das Wahlrecht nach unserem Gusto auslegen. Wobei dies nicht das alleinige Hauptproblem ist. Weshalb konnte Herr Kemmerich, der formal rechtmäßig gewählt wurde nicht sofort sagen, dass er die Wahl nicht annehme? Weshalb muss ein Politiker, der Anregung seiner Chefin folgend, von einem Amt zurücktreten, weil er übersehen hat, dass die öffentliche Mainstream-Meinung eine andere ist. Wie oft muss gewählt werden, bis das Wahl-Ergebnis in seiner Struktur den Regierenden passt? Warum verbietet man die ungeliebte Partei nicht endlich in dieser Form, wenn die öffentliche Ächtung durch Politik und Medien anscheinend erlaubt ist?
Für mich eine Aneinanderreihung von Skandalen – wir sollten unsere Wahlbeobachter aus anderen Länder zurückholen, wenn wir selbst nicht damit umgehen können.
Noch fröhliche Grüße aus dem wilden Süden dieser Bananenrepublik.
Der Ursprung des Übels liegt doch in der Struktur unseres Parlamentarismus und dem verkorksten Wahl- und Parteienrecht. Ja, zur Verhinderung, eine starke, fähige Person an die Spitze der Institutionen zu wählen ist dies bestens geeignet. Aber, ebenso wird der Wählerwillen korrumpiert oder ignoriert. Die Deutschen haben ihr Bett gemacht, sollen sie darin schlafen!