Im letzten Jahr war ich Zeuge eines Ereignisses und einer Vorgehensweise, die mich jeweils sehr erschütterten. Es ging um nichts Besonderes, aber es zeigt, in welcher psychologischen Falle sich sich die herrschende Politik befindet. Ob sie wieder dort herausfindet, ist zweifelhaft. Die Echokammer, in der sich auch die hiesige herrschende politische Öffentlichkeit befindet, ist versiegelt und für kritische Rückmeldungen nahezu nicht mehr zu durchdringen. Der täglich angeprangerte Populismus ist Bestandteil der Wirklichkeit geworden, und zwar auch auf Seiten der Politik im Amt. Es stellt sich die Frage, ob die Art von Kritik, die normativ gefordert wird, nicht auch gegen die Regierung angebracht ist. Sie ist, wie viele andere, vom Populismus infiziert.
Zurück zu dem Ereignis. Es war kurz nach dem Aufflammen der Fridays for Future-Bewegung. An einem bestimmten Freitag wurde auch in meiner Stadt zu einem besonderen Aktionstag aufgerufen, der mit einer Kundgebung auf einem großen, renommierten Platz enden sollte. Als ich auf dem Platz ankam, war ich sehr erstaunt, dass relativ wenige Menschen dort versammelt waren und und vor allem junge Leute fehlten. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass der Freitagnachmittag weiter fortschritt und darin wohl auch die Ursache für die Abstinenz der Massen zu suchen war. Dennoch wurde die Veranstaltung durchgeführt. Ich schätzte die Anzahl der Anwesenden auf ca. 500 bis 700. Eine Zahl, die weit unter den erwarteten und auch sonst in der Stadt erreichten Zahlen lag. So weit, so gut.
Erstaunt blickte ich am folgenden Montag in die Tageszeitung und las von 7000 Schülerinnen und Schülern, die sich aktiv um die Zukunft Sorgen gemacht hatten. In Bezug auf die Aktionen, die während der Unterrichtszeit am Vormittag in den Schulen stattgefunden hatten, war das durchaus möglich. Allerdings wurde die Überschrift mit der besagten Zahl mit einem Bild von der spärlich besuchten Kundgebung untermauert. Das war wohl so entstanden, dass der Fotograf auf der Bühne in die Knie gegangen war und mit einem Fischauge die Aufnahme gemacht hatte. Sie suggerierte ein volles Haus, zum bersten voll. Polizei, Presse wie die offizielle Politik sprachen von 4500, die dort versammelt gewesen seien. Aus meiner Sicht Fake News par excellence.
Im Grunde würde es sich um eine Petitesse handeln, wären nicht nahezu alle Akteure, die sich an der eigenen Überschätzung berauschten, diejenigen, die bei der Inauguration von Donald Trump Gift und Galle gespuckt hatten, als er und sein Pressestab trotz leerer Straßen in Washington von dem größten öffentlichen Interesse je gesprochen hatten.
Entscheidend ist nicht das einzelne Ereignis. Entscheidend ist das Muster, das sich dahinter verbirgt. Es ist zu beobachten, dass die von einer immer mehr um sich greifenden Abwendung vieler Menschen von dem, wie sich Politik bisher gebärdet hat, darauf geschlossen wird, dass die Methoden derer, die davon im Moment profitieren, erfolgversprechende sind. Offiziell wird das nicht zugegeben, aber klammheimlich werden die Methoden zunehmend kopiert. Das Ergebnis ist verhängnisvoll. Eine Politik der großen Linien und der Grundsätze ist nicht erkennbar, eine erkennbare Wirkung soll es quasi nicht mehr geben, die mediale Resonanz mit Halbwertzeiten von wenigen Stunden ist wichtiger als Substanz.
Und es geht, wie es in solchen Fällen immer gehen muss. Erst werden kleine Fake News produziert und irgendwann folgen die Personalien. Die Idee, in Sachsen-Anhalt den Erzpopulisten Rainer Wendt zum Staatssekretär des Innern machen zu wollen, dokumentiert, wie weit der Populismus in den Köpfen der so genannten anderen Parteien bereits gesetzt ist.

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Dieser Zustand wurde vor 50 Jahren von Oswald Spengler, in seiner Einleitung zu „Untergang des Abendlandes“ – aus historisch-kultureller Sicht,- folgerichtig beschrieben.
Bste Gruesse
edit: …nahezu 100 Jahren…