Vielleicht ist es hilfreich, sich noch einmal eine Differenzierung aus einer Wissenschaftsdiskussion zu vergegenwärtigen, die unter dem Namen Habermas-Luhmann-Debatte bekannt wurde. Dort ging es um die Kommunikation des kollektiven Handelns und die Fragestellung, wie Systeme funktionieren. Luhmann unterschied in diesem Kontext die Motive des Handelns und sprach davon, dass nach wertrationalen und zweckrationalen Entscheidungen zu unterscheiden sei.
Was heißt das? Demnach existieren im Wesentlichen zwei Arten von Motiven, wenn Menschen Entscheidungen treffen. Das eine wird aus der eigenen Ethik, aus den eigenen Wertvorstellungen abgeleitet, das andere aus der Frage, ob das, was man tut, auch nützlich ist. Beides kennen wir. Und beides machen wir auch. Meistens entscheiden wir, und das ist eine Referenz an die Beschaffenheit der Welt, in der wir leben. Meistens haben wir darüber zu entscheiden, ob etwas nützlich ist oder nicht. Werden, unabhängig vom Nutzen, Entscheidungen getroffen und wird ansonsten kein Motiv erkannt, müssen die Akteure sich sehr schnell der Frage stellen, ob sie noch zurechnungsfähig sind. Der Nutzen ist das große Paradigma, dem wir folgen.
Nur in besonderen Situationen hören wir Sätze wie „das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren“ oder „das kann ich unterstützen, weil es eine gute Sache ist“. Dann sind wir auf dem Terrain der Wertrationalität. Auch das kommt vor, jedoch nicht in der Quantität wie die Zweckrationalität. Wollte man es böse kommentieren, dann mit der Sequenz aus der Dreigroschenoper: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Aber unabhängig davon, und jenseits der beschriebenen Debatte, hat sich etwas in der politischen Kommunikation etabliert, das als eine allgemeine kommunikative Finesse beschrieben werden kann, die massenhaft Anwendung findet. Es geht um den Brauch, politische Entscheidungen, die getroffen werden oder wurden, exklusiv als wertrational zu deklarieren, auch wenn ersichtlich ist, dass es sich um zweckrationale Entscheidungen handelt.
Alles, was in den letzten Jahren an wirtschaftlichen und militärstrategischen politischen Entscheidungen getroffen wurde, wird, sobald es aus kritischer Sicht auf den Seziertisch gelegt werden und nach den tatsächlichen Interessen untersucht werden soll, sehr schnell als eine Wertentscheidung deklariert, um sich die Diskussion um die tatsächlichen Interessen zu ersparen.
Die „Rettungsschirme und-Pakete“ für Griechenland, bei denen es um die Haftung für Bankkredite ging, hatten plötzlich etwas mit der Antike und deren Beitrag zu Humanismus und Demokratie zu tun. Die Unterstützung des Aufstands gegen die Regierung in der Ukraine wurde eine Frage zur Selbstbestimmung der Völker, die Entscheidung für die Bombardements Belgrads im Jugoslawienkrieg wurde mit der humanitären Verpflichtung aus dem Holocaust begründet und die Unterstützung eines Putschisten in Venezuela mit der demokratischen Verpflichtung, sich immer auf die Seite des Parlamentes zu stellen.
Die wenigen Beispiele zeigen, dass es sich um ein Muster handelt, das ohne Übertreibung als Massenware bezeichnet werden kann. Bei allen oben genannten Fällen handelt es sich um zweckrationale Entscheidungen. Die Rettungspakete für Griechenland sollten die Banken absichern, die eine temporäre Liquidität hergestellt hatten, um den Kauf deutscher Waren zu ermöglichen. In der Ukraine sollte das letzte Mosaik zur euro-kontinentalen Abriegelung gegen Russland geschaffen werden. Bei den Bombardements gegen Belgrad handelte es sich um den letzten Schlag bei der Liquidierung des souveränen Staates Jugoslawien. Und bei der Unterstützung des Putschisten in Venezuela geht es um den Mit-Zugriff auf die größten Ölreserven der Welt.
Die Differenzierung nach Zweck- und Wertrationalität scheint sehr nützlich. Nur muss genau hingesehen werden. Nicht alles, was als wertrational im politischen Diskurs deklariert wird, ist es auch. Dahinter verbirgt sich oft ein Zweck für Minderheiten, der der Mehrheit aber nur verkauft werden kann, wenn er als wertrational ausgezeichnet wird. Dabei handelt es sich um einen schlichten Manipulationsversuch. Der Kollateralschaden besteht darin, dass die Werte, auf die man sich beruft, in hohem Maße beschädigt werden.

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In dem Zusammenhang muss natürlich auch an die Worte des Egon Bahr erinnert werden: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ Kurt Tucholsky:
Und jeda weeß doch, wie set ham jemacht!
Det wird so schnell vajessen … Keena lacht.