Neue Branchen tun sich auf. Und zwar in Dimensionen, von denen niemand geglaubt hätte, dass sie existieren. Kürzlich traf ich einen Freund aus alten Tagen, seinerseits Jurist und eigentlich immer mehr Gelehrter als Anwalt oder Funktionsträger, der mir erzählte, er habe noch nie soviel Geld mit Repetitorien verdient wie momentan. Letzteres sind Kurse, in denen Fachleute Jurastudentinnen und -Studenten fit für das Examen machen. Da wird wie in einem Camp wenige Wochen vor der Prüfung gelernt bis der Arzt kommt. Der Preis für diese Veranstaltungen war schon immer hoch, aber noch nie so hoch wie heute. Für viele ist das Juraexamen ein wichtiges Entree zu einer Karriere, in der eine Menge Geld verdient werden kann. Nicht muss, aber kann. Wer es will, der ist bereit auch einiges zu investieren, um in diesen Korridor zu gelangen.
Was sich in dem Gespräch jedoch noch offenbarte, waren andere Dinge. Früher, so der Bekannte, war die Ursache für die Notwendigkeit eines Repetitoriums oft lediglich vorausgegangene Faulheit und es habe gegolten, wichtige Kompetenzen des Juristen für den Fall des Examens abrufbereit zu machen. Heute jedoch handele es sich um eine ausgeprägte geistige Ferne vom Sujet. Die meisten derer, mit denen er in den Kursen zu tun habe, hätten weder eine Vorstellung davon, was Recht sei, noch, warum es ein Problem sei, es nicht anwenden zu können. Sie glaubten, alles sei mach- und biegbar, einer wie auch immer kritischen Sicht sei die Überzeugung gewichen, alles könne so gerichtet werden, wie es der Wille des Betroffenen als günstig erscheinen lasse. Im Kopf herrsche keinerlei Ordnung mehr, dafür aber ein naiver Glaube, alles könne einem Willen unterworfen werden, der es dann richte.
Letzter Befund gleicht einer Katastrophe. Sicherlich, und das als Botschaft an alle, die sich bereits aus Ressortborniertheit die Hände gerieben haben, gilt er nicht nur für Juristen, sondern eher für eine Generation von Menschen, denen der Verstand an höheren Bildungsanstalten verunstaltet wurde. Er besagt, dass der geistige Rahmen, in dem ein gesellschaftlicher Konsens steht, radikal verloren gegangen ist. Es scheint nicht nur die Fähigkeit zu fehlen, strukturiert an bestimmte Sachverhalte zu gehen, es scheint ebenso wenig eine Reflexion darüber zu geben, inwieweit alles, womit wir uns befassen, eine gesellschaftliche Relevanz hat. Kurz: Es geht ums Ego, um sonst nichts.
Das Phänomen, mit dem wir uns kritisch auseinandersetzen müssen, ist ein existenzieller Antagonismus. Es geht um einen tödlichen Widerspruch im eigenen Kopf, im eigenen Kopf der Gesellschaft. Ursache dafür sind zwei Botschaften, die gleichzeitig ausgesendet werden und die dafür sorgen, dass eine tiefe Krise alles erfasst, die Individuen wie die Gesellschaft. Beide Botschaften beanspruchen für sich, primordial, d.h. von erster Ordnung zu sein. Die eine geht davon aus, dass wir die Besseren auf der Welt sind und wir es daher verdienen, das Privileg zu haben, alles zu bestimmen. Die andere Botschaft attestiert dem Individuum und seinen eigenen, engstirnigen Bedürfnissen den ersten Rang. Und alles, was existiert, ist diesem Willen unterzuordnen.
Drastisch formuliert hat die Gesellschaft es so weit gebracht, seinen Paschas, Gender unabhängig und besoffen von der eigenen Bedeutung, zu suggerieren, sie repräsentierten das Gute in der Welt. Ein Unsinn, den kein Repetitorium korrigieren kann. Und Lehranstalten, die so etwas vermitteln, bedürfen radikaler Reform.

Mich erinnert das irgendwie an die Feststellung eines angehenden Informatikers, dass vom Standpunkt seiner Wissenschaft es vollkommen gleichgültig sei, ob er für seine Diplomarbeit Umweltschutz oder Präzisionswaffen wähle. Auf der Metaebene der Datenverarbeitung sei die gesellschaftliche Relevanz unerheblich.
Das kann hin kommen. Ich habe Anfang der 80ger Jura studiert. Die Mehrheit der Student*innen is5. Auch damals schon zum „Rep“ gegangen. Es wurde behauptet, man könne es nicht ohne schaffen. Eine kleine Gruppe jeden Jahrgangs, zu der ich gehörte, hat nicht eingesehen, warum man Geld für das bezahlen soll, für das die Hochschule da war: Examensvorbereitung. Die, zugegebenermaßen, oftmals grottenschlecht war. Was damals anders war: erst wenn es wirklich ums Examen ging , trabte die Herde zum Repetitorium, um brav die höchstrichterlichen Entscheidung auswendig zu lernen. Die Examensnoten waren deshalb trotzdem nicht besser als unsere. Heute ist es allerdings so, dass schon die jungen Semester mit dem Repetitorium anfangen. Schlauer werden sie dadurch nicht und besser Jurist*innen erst recht nicht. Schon damals gab es einige, durchaus auch „rechte“ Profs, die von der politischen Naivität des juristische Nachwuchses genervt waren. Mit denen ließ sich auch kein Klassenkampf von oben machen. Von daher: ist doch gut, wenn bei denen im Kopf jetzt alles noch mehr durcheinander ist. Fragt sich nur, wo unserNachwuchs seine Bildung her bekommt. Ob es noch so etwas wie alternativen Vorlesungen gibt, weiß ich nicht. Und ob es noch Profs gibt, die kritische Studentinnen und Studenten unterstützen, weiß ich ebenso wenig. Wichtig wäre es.
Wie ich anderer Stelle sagte: Bei einer Europa-Veranstaltung sagte mir in der Publikumsdiskussion ein hochrangiger deutscher EU-Politker, als ich ihn auf die Rechtsprechung des BVerFG zum Vertrag von Lissabon hinwies: Wir können uns in Europa doch nicht nach jedem Verfassungsgericht richten. Was für eine Arroganz?
Du schreibst das so nebenbei, lieber Gerd: „Es geht ums Ego, um sonst nichts.“ Es ist eigentlich der zentrale Punkt. Wer oder was ist dieses ominöse Ego? Hast du kein Ego? Oder ein besseres Ego? Ist es möglich, ohne Ego zu existieren? Im Sinnzusammenhang meinst du wohl, dass es dem, dem es ums Ego geht und um sonst nichts, nur noch um das bestmögliche Überleben des eigenen Körpers geht. Nun, das ist keine rein menschliche Eigenschaft. Ein Zebra, das sich beim Überqueren eines Flusses vor einem Krokodil zu retten versucht, tut nichts anderes und das Krokodil auch. Sind sie deshalb Egoisten? Natürlich sind sie Egoisten, sonst könnten sie gar nicht überleben. Aber sie sind in der Regel intelligente Egoisten. So kennen sie häufig zum Beispiel so etwas wie die Schwarmintelligenz oder wissen die Vorteile eine Rudels oder der Familie zu schätzen. Wenn es nur noch ums Ego geht, wie du schreibst, dann handelt es sich hier um eine zutiefst verkrüppelte Person, die um eines kleinen Schnäppchens willen bereit ist, die eigene Großmutter zu verkaufen, und vollkommen unfähig ist zu erkennen, dass sie ohne alles um sie herum nicht einen Moment lebensfähig wäre.
Dass das sog. Ego eh nur eine ziemlich verrückte Idee ist, lass ich mal stecken. Ich könnte natürlich noch die Frage nachschieben: Wer wärest du ohne die Idee von einem Ego? Ich würde sagen: Immer noch derselbe, halt ohne die Idee von einem Ego. Es ist nicht ungefährlich, an die Vorstellung von einem Ego zu glauben.
Halleluja und fröhliche Weihnachten!
Zu Ego: Dei richitge Balance gibt das bilblische Haupttgebot : Du sollst deine Nächsten lieben wie dich slebst. Ohne Selbstliebe geht es nicht. Wer sich nicht selbst leiden kann, kann auch andere nicht leiden. Falsch wird es, wenn ein Mensch nur noch sich selbst leiden kann und die anderen nicht. Hier wird das Ego überbetont.
„Hier wird das Ego überbetont.“ Wer betont denn da ein angebliches Ego über? Wer? Das Ego? Ich habe noch nie ein Ego gefunden. Das ist eine reine Vorstellung. Buddha sprach von Anatta, was bei uns fälschlicherweise gerne mit „Nicht-Selbst“ übersetzt wird. Richtig wäre ein Selbst, das weder existiert noch nicht existiert. Wer soll also seinen Nächsten lieben wie sich selbst? Wer? Nochmal Buddha zur Erinnerung: „Handlungen geschehen, doch gibt es weder einen Handelnden noch einen Nicht-Handelnden.
Nun diese „Entdeckung“ überrascht mich nicht. Sie wurde bereits verfilmt. „Wir sind die Neuen“ (mit Heiner Lauterbach und anderen) Althippie-Studenten, die es zu nichts gebracht haben stoßen auf eine Studi-WG von heute, die sie sich wundern lässt.
Das Problem wird dort ganz gut auf den Punkt gebracht, dass heutige Studenten Zusammenhänge nicht sehen und auswendiglernen wollen – am besten ganze Gesetzbücher. Die anderen (fauleren) glauben eben alles biegen zu können ohne gelesen haben zu müssen.
Das Problem ist nicht die Bildungsanstalt alleine; es ist die Zeit, auf die nicht/bzw. falsch reagiert wird. Alle diese Zocker und Shopper, diese Wikipedia-Nutzer ohne Erinnerungsvermögen verstopfen nun mit ihren Merk-Rudimenten (Binomische Formeln, DNS, Holocaust) die Hörsäle.
Sie kommen in die Schule ohne Kinderbücher, Märchen etc zu kennen, machen Abi ohne irgendwas gelesen haben zu müssen, umsorgt von Nachteilsausgleichen vielerlei Art und Helikoptereltern, die eher die Lehrer einschüchtern, als ihren Bälgern Sekundärtugenden beizubringen; studieren dann in dieser Art weiter und irgendein Ghostwriter schreibt dann für Papas Tausender die Bätschäler oder Masterarbeit.
Die „Befreiung“ von Zwang …
Magst du, magst du… Tja und wenn’s Kindlein nicht mag? Wirds für Entscheidungsfreude gelobt.
Das klingt alles irgendwie nach Ignoranz und einer (Schein)-Welt, die als eine aus WIlle und Vorstellung bekannt (und vergessen) geworden ist. Wohin das führte, wissen wir. Kraus hielt als Ursache für den 1. Weltkrieg, weil sie auf Marmor pissten, für ausgemacht. Wenn man sich die Zugewanderten betrachtet, so kann man oft zu dem Glauben kommen, das erste, was sie lernen, sei die Zurschaustellung brutaler Arroganz.