Der Kurs auf den Eisberg

Sahra Wagenknecht und ihre Unterstützer versuchen es zur Zeit mit der Plattform „Aufstehen!“, andere stricken an bestimmten Aktionsbündnissen und wieder andere arbeiten an Netzwerken, die dann greifen sollen, wenn es darauf ankommt. Und alle Aktivitäten stoßen im Keim auf Ablehnung zumindest jener, die jede Aktion als synthetisch reines Extrakt ihrer eigenen Weltanschauung sehen wollen. Ansonsten ist es nicht wert, unterstützt zu werden. Einigkeit besteht lediglich in der Einschätzung, dass es nicht so weitergehen kann, wie es das momentan tut. Denn das, was wir erleben, ist der Kurs auf den Eisberg. Ohne Abwege, straight! Und das ohne jede Form heroischer oder psychedelischer Romantik. Der Liner, der da auf den Crash zusteuert, ist ein alter, schwerfälliger Kahn, auf dem nicht einmal eine Band spielt. So weit hat uns der Wirtschaftsliberalismus gebracht. Seenot ohne ein einziges Zeichen übrig gebliebener menschlicher Kultur.

Das, was der amerikanische Endzeitphilosoph Fukiyama einmal im trunkenen Triumphalismus das „Ende der Geschichte“ bezeichnet hatte, die Implosion der Sowjetunion und der Sieg des freien Kapitalismus, ist zu einem Albtraum geworden. Wer von denen, die damals von der Entfaltung der Demokratie geträumt haben, hat heute eigentlich noch alle Sinne zusammen? Diejenigen, die es ehrlich meinten, werden im Tollhaus oder unter dem Einfluss starker Narkotika auf das Ende warten und es als eine Erlösung wie aus einem bösen Traum betrachten. Und diejenigen, denen klar war, dass das Ende der Geschichte das Ende der Zivilisation im Westen bedeuten würde, sie haben sich auf eine Koexistenz mit der Barbarei eingerichtet und frönen dem sozialen Vergleich, obwohl es, sollte es so weiter gehen, nichts mehr zu vergleichen gibt.

Die Liquidatoren der westlichen Zivilisation waren schon vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion unterwegs. Und die Sowjetunion war nur deshalb eine Art Faustpfand für die neuzeitliche Zivilisation, weil es hätte sein können, dass die  Opfer selbst des gemäßigten Kapitalismus sich hätten aus Verzweiflung an ihr orientieren können. Auch dass wäre fatal gewesen, aber die Möglichkeit wurde einkalkuliert. Nun, da diese Versuchung nicht mehr entstehen konnte, wurde losgelegt, was das Zug hielt.

Heute, im Oktober des Jahres 2018, sind wir Zeugen, was aus dem Ende der Geschichte tatsächlich geworden ist. Da relativiert der Präsident der noch mächtigen USA die Position zum Großinvestor und Ölexporteur Saudi Arabien in einem offenen Mordfall, weil ein Rüstungsauftrag von mehr als 100 Milliarden Dollar in den Büchern steht. Jeden Tag erleben wir die Eskalation der Barbarei. Sie ist allgegenwärtig. In diesem Kontext über Werte zu sprechen und dagegen nichts zu tun, und zwar im täglichen Leben, in den Routinen, das ist Kapitulation.

Besonders in Deutschland erliegt nahezu die gesamte Nation der Unterscheidung zwischen richtigem Leben hier und großer Politik dort. Vielleicht ist es deswegen auch alles so schwer in diesem Land. Mit der Nationenbildung, mit einer anständigen Revolution und mit einem wirksamen Widerstand. Wäre endlich klar, dass das Leben dort spielt, wo sich jeder Einzelne gerade befindet, dann ginge manches einfacher von der Hand. 

Wer sich im Alltag drangsalieren lässt, wer schweigt, wer sich unterwirft, wer nicht lernt, dass es möglich ist, den Befreiungsschlag zu setzen, kann sich eigentlich nicht wundern, dass so etwas in der „großen Politik“ auch nicht passiert. Alles ist eine Frage von Einstellung und Bereitschaft.  

5 Gedanken zu „Der Kurs auf den Eisberg

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  2. Avatar von FMRFMR

    Der Mensch ist halt im Allgemeinen faul und bequem, solange er satt ist. Revolutionen waren stets nur Hungeraufstände. Die Kunst eine „Gesellschaftsform“ human zu halten, liegt darin, die faulen Kompromisse für faule Bürger im erträglichen Mittelmass zu halten. Mehr geht nicht. Sonst ist Bürgerkrieg.
    LG Franz

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