Vom Sinne der Konsistenz

Wenn ein Begriff häufig gebraucht wird, kann das verschiedenes bedeuten. Entweder hat er Konjunktur, weil sich etwas im Sinne des Begriffes bewegt. Oder er wird häufig gebraucht, weil seine Substanz in starkem Maße vermisst wird. Und so ist zu beobachten, dass man es noch lange nicht mit Strategen zu tun hat, wenn viel über Strategie geredet wird. Es kann das Gegenteil bedeuten. Manchmal scheint es, als bestünde überhaupt keine Vorstellung von der Zukunft und ihrer Bewegungsrichtung, wenn andauernd von Strategie gesprochen wird.

Ein anderer, von der Inflation demolierter Begriff, ist der der Nachhaltigkeit. Immer, wenn von der Nachhaltigkeit gesprochen wird, stellt sich die Frage, ob die gelebte Realität diesen Begriff wertschätzt oder ob nicht Ressourcenmissbrauch und Verschwendung den Alltag ausmachen und die Betonung der Nachhaltigkeit nicht einen wünschenswerten, aber leider nicht gelebten Zustand beschreibt.

Es ist also Vorsicht geboten, wenn Begriffe verwendet und vor allem im politischen Diskurs sehr geliebt werden. Oft beschreiben sie Wünsche, selten die Realität. Ein Begriff, der zu dieser Gattung zu zählen ist, ist der der Konsistenz. Und es empfiehlt sich immer, nach der Etymologie, d.h. nach der begrifflichen Herkunft von Wörtern zu fragen. Das hilft meistens, um den Sinn tiefer zu entschlüsseln, als es der tägliche Sprachgebrauch hergibt.

Konsistenz ist im ursprünglichen Sinne die Zusammenstellung oder Zusammensetzung eines Stoffes. Sie garantiert seine Existenz wie Haltbarkeit. Im übertragenen, politischen wie kulturellen Sinn, handelt es sich bei Konsistenz um Logik, Schlüssigkeit und Folgerichtigkeit. Wenn etwas konsistent ist, dann kann es nachvollzogen werden, weil es durch eine innere Logik überzeugt und dadurch einen eigenen Charme vermittelt.

Nun ist das Diskursive das Eine. Jenseits der verbalen Kommunikation existiert die Welt der konkreten Aktion. Wenn letztere nicht mit den verbalen Versicherungen, Ankündigungen oder Verpflichtungen korrespondiert, dann entsteht bei denen, die dem Ganzen zunächst einen Vertrauensvorschuss gaben, in der ersten Phase Enttäuschung und in der zweiten Phase Misstrauen.

Als Replik auf den anwachsenden Populismus wird oft argumentiert, die Welt sei komplex geworden und einfache Wahrheiten seien kaum noch vorhanden. Das mag im einen oder anderen Fall zutreffen, aber es ist mitnichten so, dass bestimmte Wirkungszusammenhänge nicht mehr erklärt werden könnten. Das widerspräche dem, was Wissenschaft und Technik an radikaler Faktizität täglich produzieren.

Was viele Menschen bewegt und abschreckt, ist die zunehmende Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Das ist relativ einfach zu erkennen und mit der Komplexität der Welt nicht zu entschuldigen. Es ist, so die Vermutung, die scheinbar praktische Folgenlosigkeit des eigenen Handelns und das allgemeine Fehlen von Haltung. Praktische Folgen hat dieses Muster bereits in internationalem Maßstab, und die mangelnde Haltung wird viele die Existenz kosten.

Der Begriff der Konsistenz beschreibt in diesen Tagen einen Mangel. Und zwar in zweifacher Hinsicht: Er umreist die mangelnde Logik bei der Konzeptionierung der eigenen Zukunft und er beschreibt die klaffende Diskrepanz zwischen Wort und Tat. Anlässlich der zu beobachtenden politischen Entwicklung in unserem Kulturkreis drängt sich die Vermutung auf, dass die Diskrepanz zwischen der täglich offerierten Welterklärung und dem eigenen Handeln der Fluch dieser Zeit ist. Wo die Konsistenz von Denken und Handeln fehlt, da ist die Glaubwürdigkeit von Politik dahin.

 

3 Gedanken zu „Vom Sinne der Konsistenz

  1. Pingback: Vom Sinne der Konsistenz — form7 | per5pektivenwechsel

  2. Avatar von monologemonologe

    Ich glaube, es gibt irgendwo einen Staatssekretär, der für Wortschöpfungen zuständig ist. Wahrscheinlich ein Werbefach»wirt« mit »Exzellenz«.. Beispiel Anzug. Wurde früher aus Schurwolle gemacht, die es in verschiedenen Qualitäten gab. Heute würde einem ein Anzug angepriesen mit super Konsistenz aus nachhaltiger Produktion, bestehen würde er vielleicht aus dicker Plastikfolie. Mit dem Hut, den man getrost an der Garderobe abgeben kann, ist es genauso. Es sind Modeartikel und können also solche topmodern werden, egal ob es sich um eine schlabbrige Trainigshose handelt, die eine feine Anzughose ersetzt oder um Leggins, die alternativlos eine fettleibigkeit verhüllende Hose verdrängt und Freiheit bedeutet (wovon man nie geglaubt hätte, dass das möglich sei).

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