Es ist eine Massenbewegung. Überall, wo konzentriert junge Leute leben, bekommen die Viertel ein anderes Gesicht. Plötzlich tauchen Cafés auf, die sich Lädchen nennen, es gibt Kuchen nach Omas Rezepten, es entstehen Tauschbörsen für Klamotten, in manchen Lokalen muss gar nichts konsumiert werden, sondern es zählt die Zeit, die man dort verbringt. Es wird wieder gestrickt, gekocht nach alten Rezepten, das persönliche Outlook ist retro, Anbieter werben mit Butterbroten wie früher bei Oma, das Mobiliar der Restaurants und Cafés kommt aus Speichern und Kellern und es hat eines gemeinsam: es ist hässlich und unbequem. Egal! Hauptsache alles, womit und wo sich die Jungen bewegen, erweckt den Anschein, als sei es so wie früher. Zumindest so, wie sie sich das Früher vorstellen.
Wie immer, wenn die Sehnsucht nach der Vergangenheit aufflammt, werden die bösen, fürchterlichen, beschwerlichen Implikationen der herbeigesehnten Zeiten ausgeblendet. Wen interessiert, wie die Arbeitsbedingungen damals waren, wen interessiert, ob damals ein pädagogisches Instrument an Schulen Schläge waren, wen interessiert es, ob die liebe Oma vom bösen Opa behandelt wurde wie ein Haustier? Nein, Verklärung sieht anders aus, das muss schön und kuschelig sein und vor allem eines leisten: der empfundene Kälte der Gegenwart muss eine Portion sozialer Wärme entgegengestellt werden.
Richtig! Nicht alles, was früher war, ist schlecht gewesen. Und richtig! Vieles von dem, mit denen die Menschen heute konfrontiert sind, entspricht nicht der Zweckbestimmung unserer Gattung. Fremdbestimmung ist immer etwas Furchtbares! Doch unreflektiert die Vergangenheit als Alternative zu zitieren, hat etwas Schamanenhaftes!
Das, was sich vor allem in Quartieren zumeist junger, gut gebildeter Menschen beobachten lässt, ist eine neue romantische Bewegung. Und, bevor ein Urteil vorschnell entsteht, vergegenwärtigen wir uns der Geschichte der historischen Romantik. Zunächst warf man ihr eine reaktionäre Einstellung vor, dann, später, entdeckte man darin auch eine Art Protest gegen die heraufziehende Moderne. Und so empfiehlt die Logik, dass der Retro-Lebensstil eine romantische Bewegung mit Doppelcharakter darstellt. Zum einen verklärt sie unberechtigter Weise die Vergangenheit als soziales Zukunftsmodell, zum anderen wendet sie sich ab von der brutalen Objektivierung des Menschen durch den Digitalismus. Und letzteres ist auf jeden Fall ernst zu nehmen.
Die Generation, die sich da zum Teil von der Wucht der Gegenwart in ihrem Lebensstil abwendet, ist kein überfordertes Residuum aus der Vergangenheit, sondern ein essenzieller Bestandteil der Gegenwart. Das sind Menschen, deren Hirnfunktionen längst dem digitalen Zeitalter angepasst sind und die sich in der digitalen Infrastruktur schlafwandlerisch sicher bewegen. Da ist eine Kerngruppe der aktuellen Ära mit den sozialen Implikationen derselben unzufrieden. Das hat Potenzial!
Es ist zu bemerken, dass die Repräsentanten der Technologie, die das Individuum in seiner Funktionsweise anonymisiert und vom handelnden Subjekt in ein instruiertes Objekt tendenziell zu verwandeln sucht, in sich eine Gruppe birgt, die mit dieser Tendenz mental nicht einverstanden zu sein scheint. Es ist daher, auch wenn es schwer fällt, nicht angeraten, sich ausgerechnet mit dieser Gruppe wegen ihrer kulturellen Rückwärtsgewandtheit anzulegen, sondern in sie den Gedanken der Aufklärung zu tragen. Die Sehnsucht nach der Vergangenheit ist auch ein Protest gegen die Gegenwart. Das ist das Vereinende, von dem ausgegangen werden muss. In der momentan verklärten Vergangenheit gab es nicht nur Butterbrote und Wollsocken. Da gab es auch Streiks. Und sogar Aufstände.

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Denke Berlin ist nich die Republik, denken Berliner manchmal, aber ausser eine Auffälligkeit, welche die Entstehung neuer, lustig betitelter Burgerläden beinhaltet, nehme ich diese Retrophase nich so wahr.
Fortnite Tänze haben wenig mit Walzer gemein.
Ich kenne wirklich keinen jungen Menschen, der seiner Liebe einen Brief mit Füller schreibt.
Aber sei gewiss, das digitaler Zeitalter hat tatsächlich einen weltweiten Trend, dass Trends schnell vorübergehen.
Ob das nun romantisch ist?
Meine Schultern zucken, ein bissel, wie in einem Fornitetanz.
Da scheint Bielefeld dann doch anders zu sein. Im entwickelten BaWü kann ich durch Dutzende solcher Viertel führen. Und natürlich leuchtet abends aus diesen Läden das Apple Emblem, ist doch mein Reden!
Aber ist es nich lustig, früher zeterten die Alten, das die Jugend alles erneuern möchte, modernisieren und heute machen manche sich Gedanken,
Sie verherrlichen die Vergangenheit.
Jugend sucht und forscht, entwickelt sich. So war es immer und wird es immer sein.
Ist die Essenz von Jugend.
Auch der Apfel kommt hier an der Uni nicht oft vor und wenn dann mit Linux drauf.
Man darf sich durch“Fashion“ nicht hinreissen lassen zu urteilen, sagte meine Mutter immer, schau mit dem Herz.
🙂 Demnächst kommen Smartphones mit Displys auf den Markt, die annähern quadratisch sein müssen, damit eine runde „Wählscheinbenapplication“ draufpasst, in deren „Fingerlöchern“ die Apps angeordnet sind. .-) Dat is Retro!
Nee, also ich nehme von einer neuen Nostalgiewelle auch nichts war. Außer dieser Wehrmachts-Phräse aufm Kopp, aber die verdanken wir ja Rooney &Co; „Koppelbreite überm Ohr kahl is wieder chic“ bei ungedienten Nachtwächtern.
. …sollte natürlich Wahlscheibenapplikation heißen
Ja, so ist das mit der neuen Jugend von heute.