Die große Leere

Es mehren sich die Stimmen, die die Notwendigkeit der Regierung in Frage stellen. Die Vorstellung, die die gegenwärtige Regierung in ihren ersten einhundert Tagen gegeben hat, löst großes Bedenken aus. Sie hat keine Richtung gewiesen, sie hat keine Probleme gelöst, sie hat sich an Machtkämpfen erschöpft. Wir reden nicht von Jahren, wir reden von dem Zeitraum, der Regierungen zugestanden wird, um sich vor einer Legislaturperiode zu rütteln. Da ist ein Innenminister, der sich das schmückende Wort Heimat mit in die Amtsbezeichnung geholt hat, der sich in Bezug auf die Gunst im Wählervolk total verzockt hat. Sein Kalkül, auf eine rein nationalstaatliche Abschottungspolitik zu setzen, um damit dem wachsenden Einfluss der AFD einen Damm zu setzen, hat das Gegenteil bewirkt. Die adaptierten Ängste vor der Überfremdung hat der AFD neue Gunstbezeugungen beschert. Dass dieser Minister, um seinem Kalkül Rechnung zu tragen, massiv an einem Staatsstreich gearbeitet hat, blieb seitens der Kanzlerin ohne Sanktion. Sie ist dadurch ebenso geschwächt.

Das Ensemble, für das der Innenminister glaubt unterwegs zu sein, ist eine Ansammlung von rückwärts gewandten Phantasten, deren Perzeptionen der Wirklichkeit ein einziges Ergebnis von Überforderung ist. Der Versuch der SPD, ihrerseits Koalitionspartner, aus dem Debakel noch etwas zu retten, nämlich die Initiative zu einem Einwanderungsgesetz, ist vernünftig, hat jedoch mit diesen Partnern keine Perspektive auf Erfolg. Deutschland ist von der Komposition eines modernen Staates, der sich den Herausforderungen einer beschleunigten globalen Bewegung stellen kann, weit entfernt. 

Der größte Industriezweig, die Automobilindustrie, hat sowohl ein intrinsisches als auch ein systemisches Problem. Ersteres resultiert aus den Erfolgen der Vergangenheit, die dazu beigetragen haben, sich nicht um weltweite Trends in Fragen der Mobilität zu kümmern und sich gezielter Innovation zu versagen. Wer satt ist, entwickelt keinen Hunger auf Neues. Gesponsert wurde diese lebensgefährliche Attitüde durch den Status der staatlicherseits garantierten Systemrelevanz. Der Müßiggang der Branche wurde flankiert von immensen Subventionen, die besser dazu genutzt worden wären, um in moderne Infrastruktur und neue Verkehrskonzepte zu investieren.

Die Frage der Migration wird bleiben. Und sie wird dringlicher werden. Es hängt zusammen mit dem Anreiz, den die Konsumwelt der entwickelten Gesellschaften liefert und in die entlegensten Winkel der Welt sendet. Solange dort der Status von Hinterhöfen weiterbesteht, macht sich die Jugend auf den Weg. Das zweite Motiv ist das der existenziellen Vernichtung durch Kriege. Ein maßgeblicher Teil dieser Kriege und Bürgerkriege wurde ausgelöst durch das Paradigma des Regime Change, befeuert durch die USA. Das Ergebnis ist ein Desaster, das in den besagten Weltregionen die Bilder des Dreißigjährigen Krieges aktiviert.

Es ist erforderlich, diese hier nur exemplarisch angerissenen Zusammenhänge herzustellen und in eine eigene Strategie einfließen zu lassen. Dass etwas in dieser Richtung seitens der Regierung geschieht, ist leider nicht auszumachen. Da taumeln unterschiedliche Fraktionen den verschiedensten Bündnisoptionen entgegen, ohne dezidiert eigene, Diskurs fähige Standpunkte entwickelt zu haben. Das ist oft nichts anderes als dumpfes Bauchgefühl und tradierte Loyalität. Für die Herausforderungen unserer Zeit ist das entschieden zu wenig. 

Aber daran wird die Regierung gemessen werden. Wenn die strategische Ausrichtung nicht dezidiert ist und wenn sie nicht transparent wird, dann bleibt alles so, wie es ist. Demoskopen liefern die Zustimmung zu diesem oder die Ablehnung zu jenem Detail. Das ist, für eine Regierung als Navigation zu wenig. Was bleibt, ist die große Leere. Die, das wissen allerdings auch alle, bleibt nicht ewig.

4 Gedanken zu „Die große Leere

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  2. Avatar von almabualmabu

    Wir alle leiden wohl – mehr oder weniger – am Jogi-Löw-Syndrom? Permanenter Wechsel ist notwenig und findet auch dann statt, wenn wir ihn geflissentlich übersehen!

  3. Avatar von alphachamberalphachamber

    Grosse Leere und grosse Laehmung – so erscheint es uns hier aus.der Ferne auch. Die Deutschen suchen sich seit 1871. Sie werden sich, als Nation, niemals finden, solange sie mit ihrer besetzten und gemieteten „Fabrikhalle“ zufrieden sind.

  4. Avatar von fibeamterfibeamter

    Genua diese S’oituation beflügelt mich, für den föderativen „Bundesstaat Europa“ zu werben. Ausgangspunkt ist die Pressemitteilung zum Urteil des BVerfG vom3 0.06.2009 zum Vertrag von Lissabon. Unter wordpress.com- bundesstaat europa -fibeamter nachzulesen.

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