Lion Feuchtwanger. Die Jüdin von Toledo
Es war sein vorletzter Roman. Da war der Krieg vorbei und der jüdische Schriftsteller Lion Feuchtwanger lebte in der berühmten Villa Aurora in Santa Barbara im sonnigen Kalifornien. Da lag die ruinöse Weimarer Republik hinter dem Münchner, die diversen Verhaftungen durch die Nationalsozialisten, die Flucht nach Frankreich, die Internierung dort im südlichen Teil, die halsbrecherische Flucht mithilfe der Frau des amerikanischen Botschafters, Spanien, Portugal und die Schiffspassage in die USA. Lion Feuchtwanger hatte das Glück, bereits vor der Machtergreifung durch die Nazis als Schriftsteller international anerkannt gewesen zu sein. Es half ihm, den Todesfabriken zu entkommen, seine Vernichtung in dem Kulturkreis, dem er entstammte, konnte niemand verhindern.
Lion Feuchtwanger, der mit seinem Roman „Erfolg“ das München der 20iger Jahre hinsichtlich seiner sozialen wie geistigen Verfasstheit seziert und mit „Geschwister Oppermann“ wie „Exil“ eine zeitgenössische Trilogie komplettierte, schrieb nach seiner Flucht aus Europa nur noch historische Romane. „Die Jüdin von Toledo“ war eine letzte Betrachtung des europäischen Judentums in verschiedenen historischen Phasen. Die Joseph-Trilogie spielte im Rom des Kaisers Titus, der berühmte und wegen der Verfremdung durch die Nazis spektakuläre „Jud Süß“ Oppenheimer, dem Stuttgarter Hofjuden, erfuhr sein Schicksal im 18. Jahrhundert und die „Jüdin von Toledo“ im Spanien des 12, Jahrhunderts.
Das Spanien der Erzählung ist kulturell wie machtpolitisch tief gespalten. Der Süden, vor allem das heutige Andalusien, wird beherrscht von den Mauren, in ihren Metropolen Sevilla, Córdoba und Granada blüht eine Kultur, die aufgrund der arabischen Überlegenheit in Wissenschaft und Technik, in Medizin wie Humanwissenschaften weit über ihre Grenzen beeindruckt. Flankiert oder auch hergestellt wird diese Überlegenheit durch das politische Modell der Toleranz, d.h. in der islamisch dominierten Gesellschaft werden Juden und Christen gemäß ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten geduldet und gefördert.
Der spanische Norden ist hingegen die Domäne der dogmatischen Christen, die geprägt sind von Rittertum und dem Gedanken der Reconquista, der Wiedereroberung Spaniens und der Befreiung von maurischer Herrschaft. Im Norden werden die Juden allenfalls geduldet und als Geldbeschaffer genutzt. Dass ausgerechnet jener König Alfonso VIII., der den Auftakt für die Epoche der Reconquista machen sollte, in eine Liebesbeziehung mit der Tochter seines Hofjuden verstrickt sein sollte, macht die Lage prekär.
Die Handlung ist eine literarisch mehrmals bearbeitete. Der Ausgang von Anfang an zu vermuten. Insofern handelt es sich bei dieser Erzählung nicht um eine, die aufgrund von Spannung oder der Einlösung positiver Träume profitieren würde. Das Einzigartige der „Jüdin von Toledo“ sind Feuchtwangers präzise Skizzen über die unterschiedlichen Kulturen, die dort aufeinandertreffen. Und trotz der verhängnisvollen Determinierung der Geschichte wird für einen Moment deutlich, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, die von Toleranz geprägt ist und von der Stärke der einzelnen gesellschaftlichen Gruppen profitieren könnte, wenn das Gemeinsame im Auge behalten würde. Aber, und dessen ist sich die Leserschaft bewusst, es ist eine fiktive Spekulation.
Was die politischen Entwicklungen im Spanien jener Zeit im Wesentlichen beeinflusste, war der Dogmatismus, die Entschlossenheit und das Rittertum der Christen und die schleichende Dekadenz in den arabischen Metropolen, ein typisches Phänomen für Gesellschaften, die ihren Zenit kulturell überschritten haben.
Mit der „Jüdin von Toledo“ hat Lion Feuchtwanger kurz vor seinem Tod dem europäischen Judentum in einer Frauengestalt eine Referenz erwiesen. Im vollen Wissen der ganzen Tragik.

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