Alle kennen den Zustand und alle wissen, dass er mehr mit Schein und Wahn als mit dem zu tun hat, was immer noch viele für die Wirklichkeit halten. Gemeint ist die Jahresendpanik. Andere nennen es Dezemberfieber oder die Vorweihnachtshysterie. Egal, welcher Name ausgewählt wird, zutreffen tun sie alle. Es handelt sich dabei um das Phänomen, noch alles erledigen zu wollen, was es zu erledigen gibt, auch wenn es faktisch und objektiv gar nicht mehr geht. Und dass es faktisch nicht mehr geht, wissen alle, weil der Zustand ein kollektiver ist.
Es weiß also jeder, dass es den anderen, den realen wie fiktiven Zeitgenossen, geht wie dem Rest auch. Sie sind genervt, sie sind überlastet, sie haben keine Reserven mehr und sie wollen nur noch ihre Ruhe haben. Und dennoch setzt der Prozess ein, den wir alle kennen und gleichzeitig beklagen. Ob da nun Kinder im Spiel sind oder nicht, unter dem Druck wird einerseits gelitten und andererseits wird er aufgebaut. Insofern, auch wenn das Ganze destruktiv ist und kein positives Auskommen hat, es ist wenigstens gerecht. Und wenn etwas als gerecht erscheint, dann wird es immer wieder hingenommen. Es handelt sich um einen schafsähnlichen Zustand. Ein Zustand, der allerdings allgemein akzeptiert wird.
Und da könnten die Widersprüche des aufgeklärten Publikums durchaus gelöst werden. Der ganze Stress, die Hektik und der Überdruck werden derweil abgefedert durch unsinnige Handlungen, die nicht weniger absurd sind wie der Trieb der gegenseitigen Überforderung. Jetzt laufen die Individuen los und suchen Erlösung in unsinnigen Kaufhandlungen, in denen sie den Erwerb und nicht den Nutzen in den Mittelpunkt stellen. Wenn schon keine Logik, dann aber richtig. Nun werden, um die verlorenen sozialprägenden Verhaltensweisen in Erinnerung zu rufen, Substitute für die soziale Bindung angeschafft, die darüber hinwegtäuschen, dass es kaum oder keine aufrichtigen sozialen Bindungen mehr gibt. Deshalb werden Geschenke herangeschafft, die nach dem Kaufakt direkt verschrottet werden könnten.
Die Kritik an beidem ist so alt wie die warenproduzierende Gesellschaft und das Abendland. Die Panik vor dem Jahresende ist dabei noch das kleinere Problem. Alle wissen, dass es noch eine Zukunft gibt und kein Auftrag so heiß wäre, als dass er nicht noch ins nächste Jahr geschoben werden könnte. Sollen die anderen Auftragsbücher voll sein, solange ich alles erledigt habe! Die Kritik an der praktischen Folgenlosigkeit der allgemeinen Klage wird so lange stumpf bleiben, wie sie mit demselben moralischen Brösel versucht das zu retten, was durch das falsche Leben nicht mehr zu retten ist. Das ist eine bittere Erkenntnis. Aber nur die Bitterkeit ist in der Lage, eine moralische Abkehr vom Falschen vorzubereiten.
Und nichts ist besser, ein neues Zeitalter zu begründen, als eine Überdosis Humor. Es genügen wenige Schritte zurück, um in die betrachtende Perspektive zu geraten und sich anzusehen, was in uns, um uns und um uns herum gerade geschieht, um nicht die komische Seite des Ganzen zu erkennen. Da rennen sie herum, die Individuen, ohne Kompass, und halten sich fuchtelnd gegenseitig ihre Ansprüche vor Augen, ohne einmal den Blick ruhen zu lassen auf dem, was tatsächlich Bedeutung hat. Und wir stellen fest, die Welt ist ein großes Narrenhaus. Und diese Erkenntnis ist vielleicht das schönste Geschenk, in dieser wirren Jahreszeit.

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„Aber nur die Bitterkeit ist in der Lage, eine moralische Abkehr vom Falschen vorzubereiten.“ dem stimme ich so mal nicht zu, aber sonst bin ich dabei beim humorvollen betrachten und gehe selig lächelnd ban Weihnachtsmarkt und Kaufläden vorbei!
Hat dies auf ilseluise rebloggt und kommentierte:
JAAAA, „… nichts ist besser, ein neues Zeitalter zu begründen, als eine Überdosis Humor.“
Zu Ostzeiten hieß es ab und an: Ulbricht schafft Weihnachten ab. Ab nächstes Jahr gibt es nur noch Jolkafest wie „bei die Russn“. Kam aber nie. Als Kind hatte ich gottlob immer eine schöne Vorweihnachtszeit voller Vorfreude(n). Nach der Wende war eine der ersten Lehren: Der Kapitalismus ist weiter als der Sozialismus, denn die Vorweihnachtsstimmung ist völig futsch. Nur noch Krampf und Pflichten.