China komplex

Der neue erste Mann der Volksrepublik China übernimmt eine der, wenn nicht gar die erfolgreichste Wirtschaftsnation der Gegenwart. Betrachtet man das statistische Material nach klassischer Manier und nimmt Wachstumszahlen als Indiz für Prosperität, dann kann kaum eine Volkswirtschaft der chinesischen das Wasser reichen. Nirgendwo wurde so viel produziert und nirgendwo soviel investiert wie dort. Schaut man genauer hin, dann zeigen sich jedoch jede Menge gesellschaftliche Sollbruchstellen, deren soziale Sprengkraft nicht überschätzt werden kann. Der Komplex China ist mit allen Aspekten längst eine globale Angelegenheit geworden, weil vieles, was dort in den nächsten Jahren passieren wird, im wahren Sinne des Wortes die ganze Welt betrifft. Da steht der neue Staatspräsident, natürlich rekrutiert aus den festen Reihen der kommunistischen Partei, und seinerseits der erste Ökonom in diesem Amt, im Fokus der Weltgesellschaft.

Der chinesische Aufschwung wurde gewährleistet durch einen strammen Zentralismus, der die planmäßige und rücksichtslose Ausbeutung der Ressourcen garantierte und der wachsenden Ökonomie eine adäquate Infrastruktur zur Verfügung stellte. Eine nahezu unbegrenzte Workforce, die lange Zeit unter den Standards des Weltmarktes zu haben war und ein Heer von Wanderarbeitern von mindesten 50 Millionen Menschen führten zu Produktionsbedingungen, die selbst in Zeiten des Manchester-Kapitalismus nicht angetroffen wurden. Auch die Expansion der Bildungslandschaft, die nach wie vor korrespondiert mit einer massenhaft und exorbitant vorhandenen intrinsischen Motivation der Jugend des Landes, sich via Bildung den Weg in eine bessere Bildung zu bahnen, ist Ergebnis einer zentralistisch fungierenden Planökonomie. Das chinesische Erfolgsrezept wurde zum richtigen Zeitpunkt angereichert durch eine vor allem von Deng Siao Ping betriebene Liberalisierung der Märkte.

Mit seinen Billigprodukten bediente das sich jedoch auch qualitativ weiter entwickelnde China den Weltmarkt und versetzte dem etablierten Kapitalismus vor allem in den USA und zunehmend in Europa einen Schlag, den man bis heute dort kaum wahrgenommen hat. Die Versorgung der einkommensschwachen Klassen mit chinesischen Exportprodukten hat dazu geführt, dass ein jähes Ausbleiben dieser Warenzufuhr zu massiven sozialen Konflikten führen könnte. Bezahlbar sind die Waren aus westlicher Produktion, die zunehmend ökologische und soziale Standards erfüllen, von den großen Massen immer weniger. Wer China zu einer Denkweise drängt, die diesen Aspekten Rechnung trägt, dreht genau an dieser Schraube.

Im Innern des großen Reiches sind die Herausforderungen nur noch im Superlativ zu beschreiben: Die ökologischen Schäden sind immens, die Widersprüche zwischen Arm und Reich sowie zwischen Stadt und Land sind mit einem Zeitalter kaum noch zu bemessen, das mit der ökonomischen Entwicklung zunehmend entstandene Bedürfnis nach bürgerlichen Freiheiten und Rechten wird nicht befriedigt und die Verwaltung mit ihrer inhärenten Parteibürokratie ist korrupt und von Effektivität und Transparenz Lichtjahre entfernt.

Die Zielvorgaben der Partei an den neuen Mann können da nur wie eine Mission Impossible anmuten, denn genau die großen Konfliktlinien soll er beseitigen. Dass es die Partei dennoch ernst meint, lässt sich an der lapidaren Erklärung lesen, dass die Exportproduktion drastisch gedrosselt werden soll, was für mehr Ökologie, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Arbeitsentgelte spricht. Wirtschaftlich wird es sich das Land, das über gigantische Rücklagen und Staatskredite an Dritte verfügt, allemal. Ob die dringend notwendigen Reformen nach innen ohne verbriefte Rechte und Freiheiten, ohne Transparenz und den demokratischen Wettstreit von Konzepten wird vonstatten gehen können, bleibt anzuzweifeln. Egal, was hinter der großen Mauer geschehen wird, es wird uns alle betreffen, überall!