Alle, alle hatten davon geträumt. Als der Student, der die Polizei nicht bestechen konnte und sich mit Öl überschüttete und anzündete. Danach waren sie aufgestanden, in Tunis und auf dem Land, und hatten den alten korrupten Patriarchen außer Landes gejagt. Und alle Tunesierinnen und Tunesier begannen einen Traum zu träumen, der besagte, dass sie eine Revolution machen wollten ohne Gewalt. Der Freitod des Studenten sollte ein schreckliches Signal bleiben. Und tatsächlich gelang es schnell, ruhig und sauber, den Herrscher und seine Familie aus dem Land zu vertreiben. Zu groß war die Einheit der Opposition und nicht zuletzt zu eindeutig patriotisch die Position des Militärs, das klar machte, es diene der Verteidigung des Landes und nicht einer Person.
Als man nach der Verjagung des Alten mit der Gestaltung des Neuen begann, wurde schnell deutlich, dass es ein beschwerlicher Weg sein würde. Die wirtschaftlichen und strukturellen Probleme löst man nicht in einer Legislaturperiode, d.h. ohne einen breiten Konsens der politischen Akteure wird es ein unbefriedigendes Unterfangen. Zudem existierten keine praxiserprobten Parteien, keine kritischen Medien, keine gelebte Demokratie in den Kommunen.
Was die Tunesier taten, war klug und mutig. Sie wählten eine Interimsregierung und beauftragten diese mit der Erarbeitung einer Verfassung. Letzteres ist für Ungeübte auch kein leichtes Unterfangen, aber sie machten sich daran. Dass bei den Wahlen die muslimisch Orientierten die Mehrheit bekamen, verdankten sie der Vergangenheit. Sie waren es, die unter dem alten Herrscher verfolgt wurden und sie kannte man als nicht korrupt. Als sie dann an die interimistische Macht kamen, verloren sie schlichtweg ihren Mythos und sie werden heute sehr weltlich begutachtet.
Dass ein Teil der muslimischen Partei an seine Gestaltungsgrenzen stoßen würde, war anzunehmen. Dass dieser Teil aber die Zeit nutzen wollte, um lediglich die Machtpositionen auszubauen, das war nicht Auftrag derer, die sie gewählt hatten. Der in der letzten Woche ermordete Oppositionspolitiker galt als strikter Laizist, d.h. er trat für die Trennung von Staat und Religion ein. Wenn eine solche Position zur Ermordung führt, dann ist der Konsens des friedlichen Übergangs zerbrochen.
Der gegenwärtige Übergangspräsident, seinerseits prominentes Mitglied der muslimischen Partei, hat angekündigt, er werde unbescholtene Technokraten in die Ministerämter setzen und Neuwahlen ansetzen. Angesichts der Geschehnisse sicherlich eine vernünftige Geste. Seine eigene Partei ist über diesen Vorschlag gespalten. Die eine Fraktion stimmt zu, die andere ist dagegen. Letztere setzt auf die gewaltsame Usurpation der Macht durch ein muslimisches Netzwerk und gegen die Mehrheit des Volkes. Dass diese Minderheit jetzt zur Gewalttätigkeit neigt, ist evident.
Auch jetzt stellt sich die Frage, wie die politische Opposition ihre Ziele, die weltlich sind, weiter formulieren wird. Deutlich ist, dass die Frauen das Rückrat der demokratischen Opposition sind, denn sie haben gegenüber einer theokratischen Alternative am meisten zu verlieren. Und auch in diesem Fall wird sehr viel davon abhängen, wie sich das Militär verhält. Sollte es sich für den weiteren Weg der demokratischen Erneuerung entscheiden, wie bisher, dann hat die fundamentalistische Alternative keine Chance. Momentan spricht vieles dafür, dass das Militär nicht mit dem Einzug der Gewalt in die tunesische Politik kokettiert. Sollte sich diese Position verfestigen, wäre es eine wahrhaft patriotische Tat.

Strikt und klar, so solls sein.
Danke!