Interkulturelle Insolvenz

Gipfel haben nicht selten die Funktion eines Placebos. Man organisiert ein Großereignis zu einem Thema, das die Welt spaltet und holt sich prominente Vertreter der kontroversen Positionen an den Tisch. Die verschiedenen Standpunkte werden vorgetragen, ein Konsens ist nicht in Sicht und letztendlich wird nächtelang um die Formulierungen in einem Kommuniqué gerungen, in welchem genau das festgehalten wird, was vorher klar war: Die Lage ist schwierig und kompliziert und man beschließt, die Entwicklung weiterhin kritisch im Auge zu behalten. Manchmal gelingt es sogar, Maßnahmen auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners zu beschließen, an die sich in der Folge aber auch nicht jeder der Unterzeichnenden hält. Das alles klingt jetzt etwas abschätzig, es gilt aber zu beachten, dass die internationale Diplomatie oft keine anderen Optionen offenhält, es sei denn, man zweifelte die Souveränität der einzelnen Verhandlungspartner an, was seinerseits wiederum eine sehr heikle Sache ist.

Bei nationalen Gipfeln ist die Machtarithmetik etwas anders und die gewählte Regierung kann viel mehr tun, denn sie hat ein demokratisches Mandat. Bei dem jüngsten Integrationstreffen ist jedoch leider wieder einmal festzustellen, dass über die philanthropischen Appelle an die Toleranz und eine leicht bräsige Tendenz zum Eigenlob nicht viel geschehen ist. Das ist insofern gut, als dass die Vertreter der Integrationsindustrie, die eher Bestandteil als Lösung des Problems sind, keine zusätzlichen Ressourcen zu erwarten haben. Schlecht hingegen ist die Fortführung eines idealistischen, religiösen oder wie auch immer gearteten Dialogs, der die Frage von Politik und Recht ersetzt.

Die Notwendigkeiten, die sich angesichts der Zahlen der hier lebenden Migrantinnen und Migranten, der Dauer ihres jeweiligen Aufenthalts und der Bereicherung, die sie mit ihren jeweiligen Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen, ergeben, werden konsequent ausgeblendet. Obwohl seit Jahrzehnten klar ist, dass ein Zuwachs der engeren ethnischen Entwicklung der Deutschen nicht mehr kompatibel ist mit den allgemeinen Tendenzen der Ökonomie und Staatsidee, entspricht das Ausländerrecht und die daraus abgeleitete Politik gegenüber Einwanderern eher einer militanten Verteidigung der eigenen ethnischen Grenzen als einer offensiven, proaktiven und zielorientierten Integration. Nur wer eine Rechtbasis hat, wird sich integrieren können. Und nur wer den Gravitationskräften der tatsächlichen Entwicklung folgt, hat eine Chance, sich nicht von den Realitäten zu entfernen.

Da sich niemand in dieser Republik mit der Vereinfachung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft beschäftigt, und da wäre doch einmal ein Blick in die USA durchaus anzuraten, und da sich niemand darüber Gedanken macht, warum der qualifizierte Teil der dritten Generation von Einwanderern mittlerweile wieder auswandert, und da es immer noch als normal empfunden wird, dass in Wirtschaft wie Politik kaum Migrantinnen oder Migranten in den Chefetagen sitzen, ist die Abkoppelung von der globalen Entwicklung so gut wie besiegelt. Denn die Funktionseliten in den Ländern, die zunehmend mit der Globalisierung avancieren, sind längst multiethnisch. Auf dem jüngsten Integrationsgipfel fiel das mal wieder gar nicht auf. Das erklärt wohl die gute Laune.