Dass Carl Weissner ein Pionier war, der den amerikanischen Underground und die Popkultur mit nach Deutschland gebracht hat, steht außer Zweifel. Der Mann, dem es gelang, Texte von Burroughs oder Bukowski so ins Deutsche zu übersetzen, dass sich diese wohler fühlten, wenn seine Übersetzungen auf den deutschen Markt kamen als das eigene Original, spricht Bände. Carl Weissner experimentierte mit Jörg Fauser, dem wohl größten Undergroundschriftsteller deutscher Sprache, an der Cut-up Methode, der scheinbar aberwitzigen Montage von semantischen Sequenzen. So gestaltete Weissner auch selbst den erst kürzlich erschienenen eigenen Roman Manhattan Muffdiver, den er in täglich halbstündigen Sequenzen in einem McDonalds nahe der 42. Straße in Manhattan als Email-Passagen in den Äther schrieb. Carl Weissners Leben ist voller genialer Streiche und schriftlich fixierter Exzellenz. Seine Dylan-Übersetzungen sind das Beste, was es in deutscher Sprache über diese schrille und exzentrische Poesie gibt und seine Zappa-Synchronisationen sind harte Schläge auf saturierte Ohren.
Carl Weissner zog es bereits 1968 nach Mannheim, ins Zentrum der amerikanischen Präsenz im Land. Dort wohnte er bis zu seinem Tod in der letzten Woche. Unterbrechungen bildeten zumeist die USA, wo er ebenso zuhause war. New York, Los Angeles und San Francisco waren dort die Zentren seines Wirkens. In Mannheim wohnte er in den U-Quadraten, dort, wo bis in die achtziger Jahre jene Bars und Absteigen waren, die mit Namen wie Texas und Four Rosés deutlich machten, dass amerikanische Soldaten willkommen waren. Als diese immer weniger wurden, blieb Weissner trotzdem dort. Er überlebte nicht nur diese Zeit, sondern auch seine Freunde Jörg Fauser und Charles Bukowski. Irgendwie kann man glauben, Weissner hielt für den Underground die Stellung.
Wenn man ihn, um das siebzigste Lebensjahr herum, erlebte, so sah man einen groß gewachsenen Mann mit vollem Haar und einem muskulösen Körper, der vor Kraft strotzte. Von ihm ging eine ungeheure Energie aus, die aus seinen Augen durch die fingerdicken, rahmenlosen Brillengläser drang und alles, was in seinen Fokus gelangte, gleich umformte und ihm einen neuen Sinn gab. Carl Weissner folgte dem Credo der amerikanischen Kollegen, dass du in den Dreck musst, um das soziale Gras wachsen zu hören.
Da fällt gleich eine Geschichte ein, die er bei einem gemeinsamen Essen erzählte. Scheinbar lapidar, mit ungeheurem Witz und der Fähigkeit, so zu pointieren, dass das Wesentliche gleich ins Auge sprang, berichtete er von einer alten Schwäbin, die ein ganzes ICE-Abteil in Aufruhr gebracht hatte, weil sie scheinbar Jahrzehnte nicht mehr mit der Bahn gefahren war. Weder begriff sie das System der Reservierung noch die Fahrkarten, für ihre Irritationen machte sie die durchweg schlechten Charaktere der Mitreisenden verantwortlich. Und ihr Resümee endete immer mit der breit schwäbischen Artikulation des Satzes Scheiß Eisenbahn! Weissner gelang es, aus dieser selbst erlebten Episode das zu machen, was es war: die Abkoppelung einer Generation vom technischen Fortschritt und die Logik der beiden Welten grotesk gegenüber zu stellen. Dass kurz darauf die Verwerfungen um Stuttgart 21 aufkamen, war reiner Zufall.
Nun geht der, der zusammen mit Sean Penn den Sarg Charles Bukowskis in San Francisco getragen hatte, selbst auf diesem Wege in den Underground. Ein ganz Großer, den kaum einer wahrnahm, ist von uns gegangen.
