Le pain est le droit du peuple!

In der Julirevolution des Jahres 1830 formulierte den Satz der Politiker Saint-Just. Mit der Aussage, das Volk habe ein Grundrecht auf Brot, holte er die französische Revolution, die mit den eher abstrakten Zielen des Bürgertums nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vierzig Jahre vorher der Monarchie ein Ende bereitet hatte, auf eine sozial verbindliche Ebene. Die Forderung war eine Reaktion auf die Proletarisierung der Massen und warf für einen kurzen Moment Ideologie und Ästhetik über Bord. Auch wenn die weitere historische Entwicklung in den europäischen Herzländern sehr unterschiedliche Formen annahm, Saint-Just und seine Bewegung waren diejenigen, die der Revolution der Neuzeit den Finger zeigten und mahnten, das allgemeine politische Programm nie über den Bauch der Massen zu stellen.

Heute, fast Urzeiten nach dem Aufbegehren der Pariser gegen den Hunger und die Ungerechtigkeit, grenzt die Reminiszenz an die berühmte Parole an eine irrwitzige Inszenierung. Obwohl die Sättigung der Meisten im Lande aus materieller Hinsicht mit zunehmenden weißen Flecken immer noch als gesichert gelten kann, ist die Frage der Ernährung ein zentrales Thema sozial relevanter Politik geworden. Nicht die Sättigung, aber die gesundheitsrelevante Ernährung scheint zu einer Klassenfrage geworden zu sein. Auf der einen Seite wird die Nahrungsaufnahme zu einem bedrohlichen Risiko, auf der anderen zu einem ideologischen Zeremoniell. Ein politischer Versuch, bei dem Problem zu vermitteln, ist nicht in Sicht. Zwar existieren ehrenwerte Initiativen bürgerschaftlichen und pädagogischen Engagements, aber in der Politik sind außer dem Verweis auf die Liquidität bestimmter Bevölkerungsschichten und der sozial-exklusiven Abgrenzung keine Initiativen einer Vermittlung zu registrieren.

Ein Besuch in Schulen verdeutlicht, wie es um die Ernährung der Kinder aus armen und nicht gebildeten Verhältnissen bestellt ist: Ihre Gesundheitsrisiken veranlassen zu düsteren Prognosen auf den Gesundheitsverlauf. In den Bildungseinrichtungen des neuen Mittelstandes, der sich zunehmend aus ökologisch bewussten Bildungsmilieus rekrutiert, genießt die Art der Ernährung einen hohen Stellenwert und führt zu einer Zweiklassigkeit in Physis und Wohlbefinden.

Zu Recht verweisen die Vertreter des neuen Mittelstandes auf die Möglichkeit der Einschränkung, welche allerdings aus ihrem Munde wie ein lakonischer Zynismus erscheint. Die Möglichkeit für Arme, sich gesunde Ernährung zu leisten, ohne sich den ideologischen Implikationen des Vegetarismus oder der Anthroposophie auszusetzen, ist mehr als gering. Es ist eine Frage von Bildung, aber mehr noch die Art gesellschaftlicher Produktion und individueller Liquidität, die sich hinter dem Problem verbirgt.