Politischer Unterdruck

Obwohl es zuweilen Linderung verschafft, einen Boten zu erschießen, führt es nicht zur Lösung des Problems. Es sei denn, man ist Politiker und lebt davon, im Jonglieren der Schuldfrage einigermaßen virtuos zu sein. Momentan rangen sich die negativen Emotionen um die Rating Agenturen. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die vornehmlich für die Börsenkundschaft Expertisen erstellen über die Solvenz und Rentabilität von Wirtschaftsbetrieben, Organisationen und seit einiger Zeit auch Staaten. Letzteres sorgt nun für große Aufregung, weil Prognosen zu Griechenland, Portugal, Irland, und nun auch Italien und sogar die USA katastrophale Auswirkungen auf die jeweiligen Binnen- und Weltmärkte haben kann. Die Überlegung aus dem politischen Lager, nun selbst Rating Agenturen zu installieren, um Staaten zu begutachten, wäre allerdings das Törichtste, was als politischer Lösungsversuch unternommen werden könnte.

Bei der Rekonstruktion dessen, was als Vorgeschichte der jetzigen Problemlage zu identifizieren ist, werden einige Zusammenhänge klarer, als man bereit ist zu glauben. Begonnen hat die Misere mit einer eigentlich erfreulichen Entwicklung: In einigen europäischen Zentren und vor allem in Deutschland entstanden Kapitalüberschüsse, die ihrerseits auf intensive und wohl organisierte Wertschöpfungsprozesse wie über eine kollektive Ausgabendisziplin der privaten Haushalten zurückzuführen sind. Die Besitzer dieses Wertschöpfungsäquivalents ihrerseits erzeugten einen hohen Druck auf die Kreditinstitute, um aus dem Geld mehr zu machen. Dieser Dimension entsprechende, solide Rentabilität versprechende Investitionsobjekte existierten jedoch nicht. Dieses wiederum führte zu einer massenhaften Anlage in luftige Projekte und Papiere. Als diese Blasen platzten oder zu platzen drohten, sprangen die Regierungen ein, um zu haften und die privaten Anlagen zu sichern. Letzteres beraubte diese Staaten genau der Fähigkeit, die ihre politische und damit primordiale Rolle ausmacht: in Strukturen und Kompetenzen zu investieren, auf deren Fundament das Gemeinwesen von morgen steht.

Der Staat als Versicherer privat eingegangenen Risikos erscheint zunächst als ein sich um die Bürgerinnen und Bürger sorgender und niemand vergisst die Bilder zu Beginn der Weltfinanzkrise im Jahre 2008, als Angela Merkel und Peer Steinbrück vor die Kameras traten und beteuerten, die Sparbücher seien sicher. Beim zweiten Hinschauen fällt jedoch auf, dass mit der Haftungsgarantie für private Investitionsabenteuer die Politik ihre eigentliche Domäne nicht nur verlassen, sondern auch ihren Auftrag gegenüber der Gesellschaft sträflich ignoriert hat. Sie hat zugunsten der privaten Insolvenzvermeidung die politische Insolvenz gegenüber einer tragfähigen Zukunftsprogrammatik in Kauf genommen. Für dieses Verhalten erhält sie nun ein exklusiv ökonomisches Rating, was in Bezug auf Staaten natürlich exponierter Unfug, aber das Resultat eines längeren Prozesses der profanen betriebswirtschaftlichen Ökonomisierung des Denkens ist. Umschuldungsprogramme sind aktuell sicherlich erforderlich. Weitaus wichtiger jedoch ist die Notwendigkeit, dass die Politik ihr Primat zurückerlangt.