Politik ist die Herrschaft der Verwaltung im Alltag

Der Kontakt der Bürgerinnen und Bürger mit dem Staat entsteht über das Handeln der Verwaltung. Egal, ob es sich um Steuerangelegenheiten handelt, der Erwerb eines Ausweises ansteht, eine Genehmigung eingeholt werden muss oder eine Lizenz angestrebt wird: je nach Zuständigkeit und gesetzlicher Bestimmung müssen die Bürgerinnen und Bürger zu einer Bundes-, Landes- oder Kommunalbehörde. Das, was sie dort erfahren, ist die sinnliche Wahrnehmung von Politik, was Max Weber zu treffenden Formulierung veranlasste: Politik ist die Herrschaft der Verwaltung im Alltag.

Denn das politische Mandat, welches die Wählerschaft den Gewählten mitgibt, ist die Autorisierung, über Gesetze und deren Vollzug das gesellschaftliche Leben zu gestalten. Verwaltungshandeln selbst hingegen ist bis zu einem gewissen Grad apolitisch, allerdings nur in der Hinsicht, dass sie per se unbestechlich zu Werke gehen muss. Die Auslegung und Interpretation von Gesetzen und gesetzlichen Bestimmungen, die Art und Weise, wie Dienstleistungen ausgeführt werden und die Wahl der thematischen Schwerpunkte sind jedoch Ausdrucksweisen eines politischen Willens, der hinter dem Verwaltungshandeln steckt.

In Deutschlang existiert eine Tradition, die gerne den Irrglauben suggeriert, Verwaltung sei etwas Unpolitisches. Die Denkweise entstand wahrscheinlich in der Verwaltung selbst, um die Entscheidungen, die dort getroffen werden, nicht legitimieren zu müssen. Zwar wird bei der Argumentation immer auf das Recht und die Fachlichkeit verwiesen, es wird jedoch ausgeklammert, dass es zumeist zumindest keine neutrale Fachlichkeit gibt. Sei es im Bereich der Bildung, des Sozialen, der Verteidigung, der Finanzen, des Personals – überall entscheidet die politische Programmatik, wie das Verwaltungshandeln schließlich agiert.

Bin ich für Ganztagsschulen oder insistiere ich auf dem dreigliedrigen Schulsystem, bin ich für eine Alimentierung von Arbeitslosigkeit oder investiere ich in Qualifikation und neue Arbeit, konzentriere ich mich auf die Landesverteidigung oder rüste ich mich für militärische Interventionen, für welche thematischen Schwerpunkte gebe ich wie viel Geld aus, finanziere ich die Entstaatlichung oder investiere ich in Infrastruktur und Bildung und wo will ich als Staat, Land oder Kommune mit welchem Personal präsent sein? Das alles sind hoch politische Fragen, die die Bürgerschaft bewegen und von der Politik beantwortet werden müssen.

Kein Wunder, dass die Bürgerinnen und Bürger sogar das Handeln der Verwaltung im Alltag als konkretes Maß für die Bewertung von politischer Herrschaft nehmen. Das Verwaltungshandeln ist die Tat, an der man die Worte der Politik misst. Eigenartigerweise haben Politiker des Öfteren diese Wirkung nicht auf dem Radar, wahrscheinlich, weil sie auch der Mystifikation unterliegen, die Verwaltung sei politisch neutral. Dabei agiert in und mit ihr eine unsichtbare Macht, die allerhöchst politisch ist.