Soviel Weisheit, soviel Feuer

Don Carlos in Mannheim

Unter dem Motto Macht Geschichte wurden am 2. Juni die jährlichen Schillertage in Mannheim eröffnet. In der Stadt, in der die Räuber uraufgeführt wurden und der deutsche Idealismus seine erste Sternstunde feierte, pflegt man diese Tradition, auch in Zeiten, in denen die Ideale des bürgerlichen Hochgefühls längst verschwommen sind. Mit der Neuinszenierung des Don Carlos wurde in diesem Jahr ein Thema gewählt, mit dem der Autor Friedrich Schiller vom Sturm und Drang zur Klassik reüssierte.

Die zeitgenössischen Gepflogenheiten bei der Inszenierung klassischer Sujets sind mit relativ wenigen Ausnahmen schnell auf den Punkt gebracht: Man versuche das Opulente des historischen Interieurs zu reduzieren auf das Feng Shui der modernen Büros und arbeite ein wenig mit phonetischen Arrangements und Lichteffekten, man transportiere etwas Hochtechnologie in die Veranstaltung und die so genannt moderne Inszenierung hat ihr Signet. Insofern hat der Mannheimer Don Carlos keine neuen Maßstäbe gesetzt. Was hingegen glänzt ist ein lakonischer Stil, der in der Intonation des klassischen Textes genau das leistet, was die optischen Inszenierungsversuche nicht mehr vollbringen: er transportiert den Text in einer Klarheit, die verblüfft.

Schillers Text aus dem Jahre 1787 ist die wohl rasanteste Referenz an die universale Konfliktlinie von individueller Emotion und dem Handeln der Macht, beides antagonistisch verschärft in dem Unterschied der Generationen und der Aporie in der Beurteilung von Gut und Böse, verursacht durch die fluoreszierende Linie unterschiedlichster Motive. Und gerade diese textliche Qualität kommt zum wuchtigen Vorschein durch die lakonische, nicht wie sonst euphorische Proklamation des idealistischen Textes. Die Reduktion des Interieurs auf das profane Erscheinungsbild des XXI. Jahrhunderts, die Stereotypie der Boss Anzüge und die quälende Präsenz von Laptops konfigurierten die Aufführung zu einem Deutungsangebot für die Welt der Broker und Berater wie für die Blaupausenwerkstätten politischer Entscheidungen.

Was die flandrische Unabhängigkeitsbewegung mit der Liebe des spanischen Thronfolgers zu seiner französischen Stiefmutter, der Königsgattin Elisabeth von Valois
zu tun hat oder die Heilige Inquisition mit der Prinzessin von Eboli auf dem Bettlaken des spanischen Königs Philipp II. sind die Schlüsselverstrickungen, die aus Don Carlos eine Folie machen, die das Nachdenken über die Motivationslagen im Lager der Mächtigen so anreichert. Der Irrglaube, das nachfolgende Zeitalter der Vernunft hätte das Spiel der Macht der Emotion und der individuellen Begehrlichkeit entledigt, entpuppt sich als Illusion erster Klasse.

Schillers Don Carlos ist nicht nur einer der Schlüsseltexte des deutschen Idealismus, die Inszenierung anlässlich der Mannheimer Schillertage trägt dazu bei, den Urtext als Quelle zu einem besseren Verständnis der Verstrickungen von Macht in der Moderne wirken lassen zu können.