Den amerikanischen Polizeibehörden sagt man nach, dass sie bei dem Verdacht auf Steuerhinterziehung, Diskriminierung und sexueller Belästigung weder große Namen noch Verwandte kennen. Der eiserne Arm greift gnadenlos zu und die Vollstreckungsmaschinerie beginnt zu arbeiten. Dass ausgerechnet der Chef des internationalen Währungsfonds am Wochenende aus einem Flugzeug mit dem Ziel Paris in Handschellen abgeführt wurde, gibt eine untrügliche Referenz für die Konsequenz amerikanischer Behörden, wirft aber auch einen gewaltigen Schatten auf die Mächtigen dieser Welt.
Nicht, dass hier der Vorverurteilung das Wort geredet werden soll, wie es, man wundert sich kaum, bis in die Nachrichtensendungen hinein mit süffisantem Grinsen mancher Sprecherin bereits mit Vehemenz geschieht. Es geht vielmehr darum, für einen Moment die Verwirrung zu reflektieren, die die Liquidierung von angemessener Diskretion in der öffentlichen Meinungsbildung hinterlässt.
Sind sich sehr viele Beobachter sicher, dass es sich bei dem IWF-Chef um einen Sexualstraftäter handelt, legen wiederum andere dafür, vor allem Kenner der französischen Politszene, die Hand ins Feuer, dass hinter dem Fall ein Frame-up aus dem Konkurrenzlager Sarkozy zugrunde liegt. Letzterer muss bei den nächsten Wahlen Strauss-Kahn aus dem Lager der Sozialisten als einzigen ernsthaft fürchten. Und ein Präsident, der die Luftwaffe gleich mal los schickt, wenn ein allzu geschwätziger Gaddafi-Sohn im libyschen Fernsehen davon berichtet, wie man die Wahlkämpfe des französischen Präsidenten finanziert habe, dem könne man auch solches zutrauen.
Die Fälle der sehr gegensätzlichen Verdächtigungen mehren sich, teils werden sie sogar zur Regel. Ein Guttenberg war gar beides, nämlich akademischer Fälscher und Reformer der Bundeswehr. Was jetzt als seine Schlampigkeit bei der Reform kolportiert wird, war der Zugriff auf generalistische Besitzstände. Koch-Mehrin war auch beides, zudem sehr naiv, hatte sie doch in Brüssel Listen erstellt von Parlamentskollegen, die regelmäßig den Escortservice bestellten.
Mit dem Weg des Rechts hat das alles sehr wenig zu tun und vieles, was zum politischen Tod führt, hat mit dem Grad der Rechtsverletzung, der dazu herhalten muss, recht wenig zu tun. Der verlogene Moralismus der Diskussionen ist umso deplazierter, je weniger es noch um das Geschäft derjenigen geht, die sich zur Verfügung gestellt haben, um Politik zu betreiben. Die Krise geht mit dem Verlust von Inhalten einher, für die es sich einzusetzen lohnte. Wem es an langfristigen Perspektiven fehlt, der lebt vom skandalumwitterten Mundraub.
Die beobachtbare Konvergenz von Gut und Böse ist nicht nur eine Krise von Politik und politischem Personal, sondern der Offenbarungseid eines Journalismus, der zwar die Rechtmäßigkeit der Verfassung genießt, aber die eigenen Grundlagen aus Quotenprostitution und professionalisiertem Dilettantismus systematisch zerstört.
