Heroische und post-heroische Gesellschaften

Deutsche Feuerwehrleute, die mit internationalen Hilfstrupps nach Fukushima gefahren waren, berichteten von sehr merkwürdigen Geschehnissen. Ein wenig genant, aber dennoch um Wahrhaftigkeit bemüht, erzählten sie, dass sie nach nur wenigen Tagen mit ihren Kollegen aus anderen westlichen Ländern wieder unverrichteter Dinge abgereist waren. Ihre routinemäßigen Vorbereitungen für den Hilfseinsatz, die die Eigensicherung als wichtigsten Bestandteil der Prozedur in sich tragen, lösten bei den japanischen Counterparts große Verwunderung aus. Die Sorge um die eigene Unversehrtheit wurde schließlich zum Hinderungsgrund einer erfolgreichen Kooperation.

Wie die Feuerwehrleute weiter berichteten, waren die freiwilligen Hilfsangebote seitens der japanischen Zivilbevölkerung von den staatlichen Behörden kaum zu organisieren. Fast alle, die selbst ihr Dach über dem Kopf nicht verloren hatten, boten ihr Heim für die Obdachlosen an, andere organisierten Garküchen, wieder andere Kinderbetreuung und direkte Rettungsaktionen. Die japanische Bevölkerung der betroffenen Region hat sich zu einer gewaltigen demokratischen Bewegung des Desastermanagements zusammengefunden.

Heroische Gesellschaften werden als solche definiert, die über einen Konsens in der Frage des eigenen Opferbeitrages verfügen. Es existieren Werte, sei es religiös oder weltanschaulich, die einen Rang besitzen, der das Opfer der eigenen Person für das Ideal der Gesellschaft rechtfertigt. Die Geschehnisse in Fukushima und die Reaktion der japanischen Zivilbevölkerung dokumentieren in sehr starkem Maße, dass die japanische Gesellschaft durchaus noch als eine heroische bezeichnet werden kann.

Nicht nur die deutschen Feuerwehrleute, sondern auch das Verhalten der deutschen Zivilbevölkerung angesichts einer nicht direkten Betroffenheit in Bezug auf den japanischen Tsunami und die Havarie der dortigen Kernreaktoren deutet mitsamt ihren politischen Implikationen darauf hin, dass wir längst in dem Stadium einer post-heroischen Gesellschaft angekommen sind. Letzteres ist kein Makel, aber dennoch die Feststellung wert, weil aus dem Fehlen hinsichtlich eines Opferkonsenses durchaus Prognosen über die Zukunft der inneren gesellschaftlichen Entwicklungen gestellt werden können.

Post-heroische Gesellschaften leiden in starkem Maße über einen die Opferbereitschaft überlagernden Konsensverlust, der es zunehmend erschwert, politische Willensbildung mehrheitsfähig zu gestalten. Eine Interessen folgende Partikularisierung der Gesellschaft ist die Folge und selbst die privilegierten Eliten, die sich in früheren historischen Formationen für das Allgemeine verantwortlich fühlten, gleiten ab in den schnöden Vorteil der Stunde.

Und das, was in der Kommunikationstheorie als die vorhandene Psychostruktur einer gemeinsamen Intentionalität gehandelt wird, gehört ebenfalls der Vergangenheit an. Da wird so etwas wie gesellschaftliche Sinnstiftung wohl als die größte Herausforderung zu benennen sein, auf die wir treffen, in der post-heroischen Gesellschaft.